Die Menschenrechtsverletzungen im Irak gehören auf die Tagesordnung der Uno

Ein Brief von Hans-C. von Sponeck und Denis J. Halliday an Louise Arbour, Hohe Kommissarin der Uno für die Menschenrechte, Genf

Mme Louise Arbour
UN High Commissioner for Human Rights
Palais des Nations
CH-1211 Geneva 10

Müllheim/New York 20 June 2007

Sehr geehrte Frau Arbour,

wir, zwei ehemalige UN-Koordinatoren für den Irak, möchten Sie mit diesem Schreiben bitten, angesichts der allgemeinen Wahrnehmung des Versagens der Vereinten Nationen, das Mandat für den Schutz der Menschenrechte im Irak zu erfüllen, aktiv zu werden.

Wir fühlen uns zu diesem Schritt von vielen bestärkt, die ihre Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass es bereits seit einigen Jahren keinen Berichterstatter zur Lage der Menschenrechte im Irak mehr gibt. Die Ernennung von Dr. Andreas Mavromatis wurde durch die UN-Menschenrechtskommission nicht erneuert, nachdem jener seinen Bericht am 19. März 2004 eingereicht hatte. Weder die UN-Menschenrechtskommission bzw. der UN-Menschenrechtsrat noch der UN-Sicherheitsrat befanden es für notwendig, die Menschenrechte im Irak in ihre Programme zu integrieren. Die Berichte der Unami (UN Assitance Mission for Iraq) über die Situation der Menschenrechte, so wichtig sie auch sind, können nicht als ausreichend erachtet werden, um das UN-Menschrenrechtsmandat zu erfüllen. Wie wir es täglich miterleben, ist der Irak ein Land, das tief in Menschenrechtsverletzungen, begangen durch interne wie auch externe Parteien, versunken ist.

Tatsächlich offenbart der Blick in die Geschichte der Vereinten Nationen in bezug auf die Überwachung der Menschenrechtslage im Irak eine ausgeprägte Vernachlässigung und eine schwerwiegende Unausgewogenheit. Während der Jahre der Sanktionen (1990 bis 2003) bildete das UN-Menschenrechtsmandat die Grundlage dafür, die Menschenrechts­situation im Irak in nicht zu rechtfertigender Einseitigkeit zu beurteilen. Max van der Stoel brachte sich selbst damit in Misskredit, dass er sehr einseitige Vorgaben ohne jeglichen Widerspruch befolgte. Er beschränkte seine Berichte auf Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen, die durch die irakische Regierung begangen worden seien.

Andreas Mavromatis hatte den Mut, sich dem zu widersetzen und auf das internationale Sanktionsregime zu verweisen, das er als einen wichtigen Grund für Menschenrechtsverletzungen gegen die irakische Bevölkerung erachtete.

Professor Marc Bossuyt, gegenwärtig Richter am belgischen Verfassungsgerichtshof, übermittelte im Juni 2000 seine schwerwiegenden rechtlichen Bedenken zur Irak-Politik des UN-Sicherheitsrates an die UN-Menschenrechtskommission: «Das Sanktionsregime gegen den Irak ist ohne jeden Zweifel illegal gemäss dem bestehenden Humanitären Völkerrecht und den Gesetzen zum Schutz der Menschenrechte.» (siehe dazu E/CN.4/Sub.2/2000/33) Zu jener Zeit gab es weder eine Antwort seitens des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) noch von anderen UN-Organen als Reaktion auf diese ernsten Feststellungen hin.

Nur zögerlich und spät nahm Ihr Vorgänger eine kritische, doch sehr vorsichtige Haltung zur Rolle der Vereinten Nationen im Irak ein. Weder die UN-Menschenrechtskommission, das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte noch die stellvertretende UN-Generalsekretärin Louise Frechette, die die Vorsitzende der Iraq policy group mit Sitz in New York war, wurden ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten gerecht.

Wie Sie wissen mögen, entschlossen wir uns, von unseren Positionen als Koordinatoren des humanitären UN-Hilfsprogramms zurückzutreten, da wir es nicht länger hinnehmen konnten, dass «unsere» Organisation einen sich selbst dienenden und unnachgiebigen Sanktionskurs akzeptierte, der vor allem die Unschuldigen bestrafte. Der immense Schaden, den die fehlerhafte UN-Irak-Politik der irakischen Gesellschaft zugefügt hat, ist heute allgemeiner bekannt, als es damals der Fall war. Dieses Wissen ist jedoch nur in beschränktem Ausmass auf UN-Quellen, als vielmehr auf das unermüdliche Nachfassen und Recherchieren durch die Zivilgesellschaft zurückzuführen. Als frühere UN-Beamte finden wir das sehr bestürzend.

Wir schreiben Ihnen in unserer grossen Besorgnis, dass bis heute weder der UN-Sicherheitsrat noch der UN-Menschenrechtsrat ihre Verpflichtung wahrnehmen, ihre Verantwortlichkeiten zu akzeptieren und eine Begutachtung der Menschenrechtslage vorzunehmen, wie sie aus den 13 Jahren der Sanktionen heraus entstanden ist. Die Rolle, die die Vereinten Nationen in dieser Zeit gespielt haben,  muss aufgezeigt werden. Auf Grund der noch immer zerstörten zivilen Infrastruktur – was eine kriminelle Vernachlässigung durch die Besatzungsmächte ist – wirken die Sanktionen noch immer fort. Wir sind deshalb gleichermassen besorgt, dass der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen es bislang versäumt hat, sich in eine Debatte der grausamen Menschenrechtsverletzungen im besetzten Irak einzubringen.

Wir erachten es als ein wichtiges Recht der Öffentlichkeit, sowohl eine Untersuchung wie auch eine Debatte erwarten zu können. Das wäre ebenfalls für das zukünftige Bewältigen solcher Krisen, wie wir sie persönlich im Irak gesehen und miterlebt haben, von grosser Bedeutung.

Von gleicher Wichtigkeit scheint uns die Notwendigkeit zu sein, der Weltgemeinschaft zu versichern, dass die Pflicht zur Rechenschaft für alle gilt, die eine Rolle dabei spielten, das Schicksal eines Volkes zu bestimmen, nicht nur für eine gescheiterte Regierung.

Wir möchten hoffen, dass Sie, als die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte und als eine Person, die sich mit Mut zum Irak und zu anderen Menschenrechtsfragen geäussert hat, sowohl auf den UN-Menschenrechtsrat wie auch auf den UN-Sicherheitsrat Druck ausüben werden, die Frage der Menschenrechte im Irak auf die Tagesordnung beider UN-Gremien zu setzen.

Die Tatsachen, dass wahrscheinlich mehr als eine Million unschuldiger Iraker seit der Invasion gestorben sind, dass vier Millionen oder mehr Iraker zu Binnenflüchtlinge oder zu Flüchtlingen wurden, dass die gesamte sozio-ökonomische Infrastruktur zusammengebrochen ist und dass eine ganze Nation traumatisiert wurde, stellen unseres Erachtens klare Gründe für eine sofortige und dringliche Einmischung der Vereinten Nationen dar. Eine Stellungnahme, die Ihre Position zu dieser Realität im Irak zum Ausdruck bringen würde, würde unzweifelhaft eine bedeutsame politische Wirkung haben und wäre für all jene auf der Welt, die auf Sie als die Garantin für die Vorrangstellung der Menschenrechte für alle Menschen blicken, eine Rückenstärkung.

Mit allen guten Wünschen für Ihre wichtige Arbeit.

Hochachtungsvoll
Hans-C. von Sponeck, Denis J. Halliday

Hans-C. von Sponeck
(UN-Koordinator für Irak 1998–2000)
Denis J. Halliday
(UN-Koordinator für Irak 1997–1998),
c/o Burgunderstr. 26, D-79379 Müllheim/Baden

(Übersetzung: Zeit-Fragen)