2500 Dollar Schweigegeld

US-Armee hat nach Massaker im irakischen Haditha Entschädigungszahlungen angeboten
Rüdiger Göbel
junge Welt, 01.06.2006 / Ausland / Seite 6
http://www.jungewelt.de/2006/06-01/027.php
Nach Bekanntwerden des Massakers im irakischen Haditha bereitet sich die US-Regierung auf eine neue globale Protestwelle vor. Das Weiße Haus will nach eigenem Bekunden die Untersuchungen zu dem Blutbad an 24 irakischen Zivilisten im November 2005, begangen von einer Einheit der US-Marines, in allen Einzelheiten veröffentlichen. Nach Abschluß der Armee-internen Ermittlungen würden alle Details zugänglich gemacht, versicherte der Sprecher des Weißen Hauses, Tony Snow, am Dienstag (Ortszeit) in Washington.

Wie der US-Nachrichtensender CNN am Dienstag abend berichtete, wurde der Ablauf des Überfalls von Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums inzwischen bestätigt. Demnach haben Mitglieder der Marineinfanterie in einem Rachefeldzug für den Tod eines Kameraden am 19. November vergangenen Jahres 24 Einwohner von Haditha kaltblütig getötet. Unter den Opfern befanden sich mehrere Frauen und ein einjähriges Kind. Das Verbrechen wurde anschließend verschleiert (siehe jW vom Mittwoch).

Der einflußreiche demokratische US-Kongreßabgeordnete und hochdekorierte Vietnamkriegsveteran John Murtha warf der Armeeführung vor, das Massaker vertuscht zu haben. Nach dem Tod der 24 Zivilisten sei den Angehörigen bis zu 2500 Dollar Entschädigung gezahlt worden, berichtete Murtha CNN. »Dies geschieht nicht, wenn sie durch einen Sprengsatz getötet wurden.« Er schätze, daß die Gelder auf Veranlassung der Militärspitze angewiesen wurden – als eine Art Schweigegeld.

Massive Kritik gibt es mittlerweile selbst von Bushs Verbündeten in Bagdad. Führende Politiker des besetzten Zweistromlandes warfen US-Soldaten die vorsätzliche Tötung von Zivilisten vor – nicht nur in Haditha. Der irakische Premier Nuri Al Maliki sagte am Dienstag abend der britischen BBC, es sei »nicht zu rechtfertigen, daß eine Familie getötet wird, weil jemand gegen Terroristen kämpft«. Die Getöteten von Haditha seien »Opfer eines falschen Einsatzes«. Er sei »besorgt über die Zunahme an ›Fehlern‹«, erklärte Maliki in einem Interview mit Reuters. »IWir werden nicht nur Antworten zu Haditha haben wollen, sondern zu jedem Einsatz, in dem es aufgrund von Fehlern zu Tötungen kam. Die Verantwortlichen werden wir dingfest machen«, fügte der Regierungschef hinzu.

Auch der neue irakische Botschafter in den USA, Samir Al Sumaidaie, erhob schwere Vorwürfe gegen die Besatzungstruppen. So sei sein Cousin, ein 21jähriger Student, im Juni vergangenen Jahres bei einer Razzia in Haditha grundlos erschossen worden – Monate vor dem nun bekanntgewordenen Massaker also. Zudem gebe es viele Hinweise darauf, daß US-Soldaten auch andere wehrlose Zivilisten »absichtlich getötet haben«, klagte der Diplomat am Dienstag abend gegenüber dem Sender CNN. Schon lange seien ihm auch Berichte über das Blutbad in Haditha am 19. November 2005 bekanntgewesen. Es habe allerdings »einen starken Druck unserer Freunde« gegeben, über diesen Vorfall nicht zu sprechen. Es sind dieselben Freunde, die nun »volle Aufklärung« zugesagt haben.