Im Norden des Irak leben vorwiegend Kurden - und gerne wird diese Region als besonders sicher, besonders fortschrittlich, besonders demokratisch bezeichnet. Dass das keineswegs der Wahrheit entspricht, belegt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Von Björn Blaschke, ARD-Hörfunkstudio Amman, 05.07.2007
http://www.swr.de/nachrichten/-/id=396/nid=396/did=2338420/1v95kbd/index.html
Sein rechtes Auge driftet immer wieder nach außen weg, die Muskeln können es nicht halten. Ob es tränt - weil die Drüsen kaputt sind oder weil den Mann seine Erlebnisse schmerzen, ist nicht klar. Jedenfalls muss sich der Mitvierziger, der im Nordirak als Lehrer arbeitet, häufig mit einem Taschentuch die Augenwinkel abtrocknen, während er von seinen Erfahrungen mit den kurdischen Sicherheitskräften erzählt.
Diese sogenannten Asayish hätten ihn tagelang misshandelt, wahrscheinlich aus Rache. Er hatte sich beschwert, weil Angehörige der Partei von Massud Barsani, der heute Präsident von irakisch Kurdistan ist, vor den letzten Wahlen Stimmen kaufen wollten. Aus der Gefangenschaft berichtet er: "Sie haben meine Augen verbunden, meine Arme angekettet. Ich war insgesamt fünf Tage lang bei ihnen eingesperrt. In der Zeit haben sie mich einmal 24 Stunden lang immer wieder geschlagen. Auf meine Augen. Auf meine Ohren. Danach haben sie einen Ermittler vom Militär geholt, der mir vorgeworfen hat, den Widerstand zu unterstützen (also das Al-Kaida-Spektrum). Am Ende ließen sie mich wieder frei, weil ich ihnen nichts brachte. Sie warnten mich aber noch: Wenn ich vor Gericht zöge, würde ich getötet. Ich habe dabei mein linkes Auge verloren."
Als Hort der Sicherheit galten die von Kurden dominierten Gebiete im Norden des Irak, seit der Rest des Landes - nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 - zunehmend in blutiger Anarchie versank. Doch: Auch Sicherheit ist relativ. Das bestätigen auch Iraker, die in jüngster Zeit vermehrt die Öffentlichkeit suchten und behaupteten, von den Asayish gefoltert worden zu sein. Die Asayish sind den beiden großen Parteien der Region verbunden, der von Kurdenpräsident Massud Barsani und der von Iraks Staatspräsident Dschalal Talabani.
Das heißt, dass der Sicherheitsapparat in Händen von mächtigen Einzelpersonen liegt - und nicht einer demokratischen Regierungsbehörde unterstellt ist, zum Beispiel dem Innenministerium. Die Konsequenz: Die Asayish können weitgehend schalten und walten, wie sie wollen. Selbstherrliche Brutalität ist mitunter die Folge. Ein Handwerker schildert seine Erlebnisse: "Ich war in meinem Auto auf einem Markt. Da versperrte mir ein Wagen den Weg. Er stand mitten auf der Straße. Ich hupte, woraufhin ein Kurde kam - er schien ein Funktionär der Partei von Barsani gewesen zu sein. Er begann mich anzuschreien und zu beleidigen und mich zu schlagen. Dabei warf er mir vor, ich hätte ihn beleidigt. Dann schoss er in die Luft und steckte mich in sein Auto. Ich wurde dann in eines ihrer Gebäude gebracht, wo sie mir aufs Ohr schlugen. Eine Woche lang hielten sie mich fest, mit meinen Verletzungen. Dann kam ich frei und bin nach Mossul gefahren, um mich behandeln zu lassen."
Sozusagen im Windschatten der Gewalt im Zentral- und Südirak gibt es auch im Norden massive Menschenrechtsverletzungen. Dass das so ist, sollte all jene im Westen aufmerken lassen, denen die Kurden einreden wollen, ihre Region sei das Musterländle des Irak. De facto hatten die Kurden - seit sie 1991 autonom von der Zentrale in Bagdad wurden - die Gelegenheit, funktionierende demokratische Strukturen aufzubauen. Zu einer Zeit also, als der Rest des Irak noch unter Saddam Husseins Diktatur litt. Doch diese Chance nutzten die Kurden nicht. Deswegen sagen ihre Kritiker heute, sie seien schlimmer, als die Politiker in den anderen Landesteilen des Irak. Dort war man schließlich erst zwölf Jahre später als die Kurden in der Lage, sich an demokratischen Strukturen zu versuchen; seit dem Sturz Saddam Husseins 2003.
Die Foltervorwürfe stützt der Bericht "Gefangen im Wirbelwind", den jetzt die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vorgelegt hat. Das 56-seitige Papier zeigt, dass die kurdischen Sicherheitskräfte Gefangene foltern - durch Schläge mit Metall- oder Holzstangen, Kabeln oder Seilen. Dazu kommen dem Bericht zufolge Elektroschocks, sexueller Missbrauch, Isolationshaft oder der Zwang, tagelang in sogenannten Stresspositionen zu sitzen - beispielsweise in der Hocke, mit verbundenen Augen und hinterm Rücken verbundenen Händen.
Die meisten Menschen, die von dieser Art Folter betroffen seien, so Human Rights Watch, stehen unter "Terrorverdacht". Was immer das heißen mag, in Zeiten, da dieser Begriff für so vieles als Entschuldigung herhalten muss. Mitarbeiter der Organisation besuchten zehn kurdische Haftanstalten zwischen April und Oktober 2006. Dass ihnen Zugang zu den Gefängnissen und ihren Insassen gewährt wurde, ist an sich bereits bemerkenswert. Denn Inspektoren von Human Rights Watch, die Gefängnisse im Zentralirak besuchen wollten, wurde der Zutritt wiederholt verweigert - sowohl von irakischen Ministerien, als auch US-amerikanischen und britischen Kräften.
Quelle: tagesschau.de
Den vollständigen Report (PDF, 0.5 MB) gibt es hier: kurdistan0707_hrw.pdf
Siehe auch:
IraqSlogger, 4.7.2007
Kurdish Authorites Use Abu Ghraib Tactics
HRW Report Finds Detainees "Tortured" in Northern Jails, Denied Due
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