Mohssen Massarrat, 07. Mai 2003

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TRIBUNAL

für die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im Irak

 

Liebe Freunde und Freundinnen der Friedensbewegung,

wie Sie wissen, wird seit einigen Wochen in verschiedenen Zusammenhängen sehr ernsthaft über die Idee eines Tribunals nachgedacht. Auf die Initiative der Tübinger "Gesellschaft Kultur des Friedens" hin hat bei dem gerade zu Ende gegangenen IPPNW-Kongreß in Berlin ein erster Meinungsaustausch stattgefunden. Ein Protokoll dieses Meinungsaustauschs soll in Kürze an alle potentiellen Interessierten verschickt werden.

Ich bin der Meinung, ein europäisches bzw. internationales Tribunal könnte in der Tat einen wichtigen Beitrag gegen das Hegemonialprojekt der USA und für die Stärkung der Friedenskräfte auf dem Weg zu einer nichtmilitärischen multilateralen Weltordnung darstellen. Es ist zu erwarten, dass sich die Regierungen der Antikriegskoalition Deutschland, Frankreich und Russland gegen die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges und der gegenwärtigen Besatzungspraxis im Irak entweder überhaupt nicht oder äußerst defensiv wenden werden. Um so dringender wird es, dass sich die Zivilgesellschaft und die Friedensbewegung dieser äußerst wichtigen Aufgabe annimmt und sie als ihr zentrales oder zumindest als eines ihrer wichtigsten Projekte erklärt.

Möglicherweise hat die Tribunal-Idee für manche von Ihnen nicht die höchste Priorität, da befürchtet wird, dass auch andere wichtige Themen, wie die geplante militärische Aufrüstung der EU oder der Nahost-Konflikt, ins Hintertreffen geraten könnten. Ich bitte Sie jedoch zu bedenken, ob es möglich ist, das Tribunal-Projekt als ein umfassendes friedenspolitisches Projekt zu konzipieren und durchzuführen, das sowohl die Außen- und Friedenspolitik der EU, wie aber auch die Frage der Neuordnung des Nahen- und Mittleren Ostens impliziert. Tatsächlich sind die Verbrechen und Ereignisse vor, während und nach dem Krieg im Irak mit der Zukunft der UNO und des Völkerrechts, der Außen- und Friedenspolitik der EU, der politischen Entwicklung im Irak und der gesamten Region des Mittleren und Nahen Ostens auf das Engste miteinander verknüpft. Folgende Gesichtspunkte könnten helfen, das Projekt als ein vielschichtiges in mehrere Richtungen (in die Zivilgesellschaft, in die Medienlandschaft und in das Regierungslager) hinein wirkendes größeres Projekt aufzufassen und zu realisieren:

Die Finanzierung könnte u. a. durch Zeitungsanzeigen erfolgen, die selbst zusätzlich auch einen Mobilisierungseffekt hätten.

Diese Auflistung ist sicherlich unvollständig und soll lediglich eine Vorahnung über die friedenspolitische Tragweite des Projektes vermitteln. Ein derart grosses nationales bzw. europäisches und arbeitsaufwendiges Projekt bedarf einer soliden Vorbereitung und sollte selbstverständlich nicht "durchgepeitscht" werden. Andererseits gebietet gerade die gegenwärtige Entwicklung in Irak, den Beginn des "Tribunalprozesses" nicht auf die lange Bank zu schieben. Ich möchte anregen, schon jetzt parallel zu interner Verständigung und Entscheidung innerhalb von Friedensgruppen und Organisationen ein baldiges Arbeitstreffen zu verabreden.