Iraks Akademiker fliehen zu Tausenden
Appell zum Schutz der Wissenschaft
Von Karin Leukefeld
Neues Deutschland, 25. Januar 2006
Menschenrechtsaktivisten und Journalisten haben erneut zum Schutz
irakischer Wissenschaftler
und Hochschullehrer aufgerufen. Vor allem Geisteswissenschaftler seien
seit April 2003
»systematisch ermordet« worden, heißt es in einem Aufruf
des Brüsseler Tribunals, eines internationalen Netzwerks gegen
die ausländische Besatzung Iraks.
Mehr als 250 Hochschullehrer seien seit dem Sturz des früheren Regimes
ermordet worden, heißt
es in dem Appell. Hunderte seien verschwunden, Tausende geflohen. Irak
erlebe einen
folgenschweren »Brain Drain«: Die säkulare Mittelklasse werde immer
kleiner. Unter Saddam
Hussein hatten viele Akademiker das Land aus Mangel an Freiheit
verlassen, nun flüchten sie um ihr
Leben.
Das Brüsseler Tribunal (www. brusselstribunal.org) fordert eine
internationale Untersuchung der
bisher unaufgeklärten Morde. Gleichzeitig sollten Universitäten anderer
Länder mit Hochschulkräften
sowohl in Irak als auch im Exil Kontakt aufnehmen. Die Verantwortung
für die Sicherheit der Iraker,
auch der Akademiker, trügen nach internationalem Recht weiterhin die
USA als Besatzungsmacht.
Einem UN-Bericht zufolge wurden seit der USA-geführten Invasion 84
Prozent der Hochschulen
Iraks durch Brandstiftung, Plünderung oder anderweitig zerstört. Nur 40
Prozent davon seien im
Wiederaufbau. Es fehle nicht nur an Wasser und Strom, sondern auch an
Möbeln, Büchern und
Laborgeräten für Studierende. Der Wiederaufbau der Hochschulen ist nach
Ansicht von Jairam
Reddy vom Internationalen Institut für Führungskräfte in Jordanien, der
an der UN-Studie
mitgearbeitet hat, eine Voraussetzung, um die Einheit des Landes
langfristig zu sichern. In den 70er
Jahren zählten irakische Hochschulen zu den besten im Nahen Osten.
Die durch tägliche Gewalt gestressten Iraker haben allerdings noch mit
anderen Problemen zu
kämpfen. So verloren kürzlich hunderte Familien in der südirakischen
Stadt Safwan ihre Existenz,
als eine bis zu 1,5 Meter hohe Flutwelle die Wände ihrer Häuser
eindrückte. »Die ganze Nacht hatte
es geregnet«, erinnerte sich Herr Mohammad (42), »am Morgen zerstörte
die Flut das Haus. Nichts
konnten wir mitnehmen, außer unseren Kindern.« Zwei Tage lang hatte es
ununterbrochen
gegossen, das Wasser sammelte sich auf den trockenen Böden, eine
Kanalisation gibt es nicht.
Möbel, Kleidung, Nahrungsmittel wurden aus den Häusern gespült. Der
Irakische Rote Halbmond
versorgt die Flutopfer inzwischen in einem provisorischen Zeltlager.
In Bagdad bestimmen derweil verschärfte Sicherheitsmaßnahmen den
Alltag. Nie weiß man, ob die
Tigrisbrücken, die den Westteil der Stadt mit dem Ostteil verbinden,
frei oder gesperrt sind.
Geschäftstermine, Schulunterricht, Arztbesuche, sogar Hochzeiten müssen
verschoben werden.
Die Iraker üben sich in Geduld, wütend sind sie allerdings über eine
unaufhaltsame Verteuerung. Für
den fünffach erhöhten Benzinpreis macht die Regierung Anschläge auf
Pipelines und Raffinerien
verantwortlich: »Wir haben eine Menge Geld verloren«, sagt Salam Jihad,
Sprecher des
Ölministeriums, »rund 22 Millionen US-Dollar täglich.« Die
Preiserhöhungen sollten helfen, die
Folgekosten zu decken. Tanklastwagenfahrer müssten inzwischen auf dem
Weg von der Raffinerie
zu den Tankstellen vom Militär eskortiert werden, das koste Geld.
»Wir zahlen für eine unfähige Regierung, die keine Sicherheit schaffen
kann«, schimpft Kamal
Yassin, ein Tankstellenbesitzer. Millionen Iraker seien nicht in der
Lage, die hohen Preise zu zahlen.
»Mehr als sieben Stunden warte ich hier«, klagt auch Taxifahrer Ala'a
Ibrahim, der noch nicht mal
die Tankstelle sehen kann, vor der er wartet. »Das ist doch eine
Schande für die Regierung eines
Landes, das so reich an Ölvorkommen ist.« An Tankstellen kostet Benzin
heute 0,20 US-Cent
(früher 0,05). Auf dem Schwarzmarkt zahlt man inzwischen bis zu 1
Dollar pro Liter.