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IMI-Analyse 2006/013, 11.07.2006

 

Joachim Guilliard

 

Der schmutzige Krieg gegen die Zukunft des Irak

 

Von den US-Besatzern ausgebildete Todesschwadrone verüben im Irak täglich Morde an Oppositionellen. Ziel ist die Spaltung der Bevölkerung und die Brechung des Widerstandes

 

(Erschien leicht gekürzt in junge Welt, 12.07.2006)
Original: http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1379 

 

Am 22. Februar 2006 wurde Atwar Bahjat während der Berichterstattung über den Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra entführt und ermordet. Wie ein vor kurzem der britischen Sunday Times übergebenes Video zeigt, starb die 30 jährige Journalistin einen qualvollen Tod: bis zur Taille entkleidet, gefoltert und die Kehle langsam durchgeschnitten.[1] Einer der Täter hatte die grausame Szene mit seinem Mobiltelefon aufgenommen. Das Handy wiederum soll bei einem Mitglied der Badr-Brigaden gefunden worden sein, der mächtigen Miliz des SCIRI, einer der radikal-schiitischen Parteien in der Regierung.

Atwar Bahjat, die wie viele Iraker aus einer gemischten schiitischen und sunnitischen Familie kam, hatte sich mit ihren mutigen Berichten für Al-Jazeera aus dem Irak einen Namen gemacht. Sie hatte auch noch berichtet, als dem Sender die Arbeit im Irak verboten worden war. Erst massive Drohungen gegen ihre Person zwangen sie schließlich 2005 zur Ausreise. Anfang dieses Jahres kehrte sie als Korrespondentin des saudischen Kanals al-Arabija zurück.

 

Der Anschlag in Samarra, dem ihre letzten Recherchen galten, beschädigte die Moschee, die mit dem al-Askari Schrein eines der bedeutendsten Heiligtümer der Schiiten beherbergt, schwer und löste eine verheerende Welle der Gewalt aus, die bis heute anhält. Obwohl es keine konkreten Hinweise auf die Täter gab, folgten unmittelbar danach Racheaktionen schiitischer Gruppen gegen sunnitische Einrichtungen und Gläubige. Für westliche Medien war dies daher nichts weiter als eine erneute Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen.

„Ob sie Sunnit oder Schiit, Araber oder Kurde sind, es gibt keine Differenzen zwischen Irakern, die vereint sind in der Angst um diese Nation“, meinte hingegen Atwar Bahjat in ihrem letzten Bericht, nur wenige Stunden vor ihrem Tod.[2] Vieles im Zusammenhang mit der professionellen Sprengung der goldenen Kuppel der Moschee sprach gegen die Annahme dass sunnitische Extremisten die Täter waren.[3] Vielleicht wurde die kritische, im Irak sehr geschätzte Journalistin ermordet, weil sie auf brisante Spuren gestoßen war. Vielleicht musste ihre Stimme aber, aus Sicht der Kräfte, die die Einheit des Landes sprengen wollen, schon allein wegen ihrer klaren Haltung gegen die sektiererischen Kräfte zum Schweigen gebracht werden.

Mit ihrem Tod erhöhte sich die Zahl der seit dem Einmarsch der US-geführten Truppen im Irak getöteten Journalisten auf 109: 17 waren von US-Soldaten ermordet worden, 69 starben durch die Hände von Milizangehörigen oder unbekannten Bewaffneten.[4]

Mordwelle

Das Videomaterial der Entführer von Atwar Bahjat dokumentiert nicht nur auf erschütternde Weise einen von vielen Tausend grausamer politischer Morde seit Beginn der Besatzung. Es hat darüber hinaus noch eine weitere Bedeutung: Der Film zeigt offenbar zum ersten Mal eine irakische Todesschwadron in Aktion. Die Uniformen der Männer auf dem Video, so die Sunday Times, scheinen die der „Irakischen Nationalgarde“, d.h. der neuen irakischen Armee zu sein. Die Art der Folter ähnelt den Fällen, für die die Badr-Brigaden des SCIRI verantwortlich gemacht werden.

Seit dem Amtsantritt der ersten gewählten Regierung im Mai 2005 war die Zahl von Gewaltopfern ständig gestiegen. Acht- bis elfhundert Tote waren vom Sommer 2005 bis Februar 2006 allein im Bagdader Leichenschauhaus monatlich eingeliefert. Nach Ermittelungen von John Pace, bis Februar 2006 Direktor des Menschenrechtsbüros der UNO im Irak, waren Dreiviertel von ihnen an Schusswunden gestorben. Die meisten trugen zusätzlich Spuren schwerer Folter und Zeichen, die auf eine Exekution hindeuten. Im Mai und Juni war die Zahl der Leichen im Bagdad weiter auf 1375 bzw. 1595 gestiegen.[5] Vor der Invasion waren durchschnittlich nur 20 gewaltsame Todesfälle im Monat registriert worden.

 

Kaum einer der Morde wurde bisher ernsthaft untersucht. Sie werden in der Regel als Racheakte und als Folge von Kämpfen zwischen den Religionsgruppen ad acta gelegt. Vieles deutet aber daraufhin, dass viele der Ermordeten Opfer eines schmutzigen Krieges gegen Gegner der Besatzer und ihrer lokalen Verbündeten wurden.

So ist John Pace, ein Malteser, der über 40 Jahre lang für die Vereinten Nationen gearbeitet hat, überzeugt, dass für den größten Teil der Morde schiitische Gruppen verantwortlich sind, die unter Kontrolle des Innenministeriums stehen. Das von der radikal-schiitischen Partei SCIRI geleitete Ministerium würde als ein “Schurkenelement innerhalb der Regierung” agieren. Viele der 110.000 Polizisten und der paramilitärischen Polizeikommandos stehen im Verdacht, Mitglieder der Badr-Brigaden, der Miliz des SCIRI, zu sein. Chef des Ministeriums war bis vor kurzem Bajan Jabr, einer der historischen Führer dieser, seit den 1980er Jahren im iranischen Exil ausgebildeten Brigaden. Nicht nur die Sondereinheiten zur Aufstandsbekämpfung, wie die “Wolf-Brigade” die “Skorpione” oder “Tiger”, sondern auch die normalen Einheiten bis hin zur Straßenpolizei werden beschuldigt, als Todesschwadrone zu agieren.[6]

 

Neben Journalisten sind in besonderem Maß auch Ärzte und Akademiker von Entführungen und Attentaten betroffen. Über 190 Hochschullehrer und mehr als 220 im Gesundheitsbereich Tätige fielen bereits gezielten Anschlägen zum Opfer. Tausende Doktoren, Wissenschaftler, Ingenieure und Intellektuelle haben nach konkreten Todesdrohungen oder aus begründeter Furcht das Land verlassen.

Die meisten Fälle wurden von Gruppen der internationalen Iraktribunalbewegung namentlich erfasst und sind somit vergleichsweise gut dokumentiert.[7] Die Welle der Morde ist offenbar unabhängig von Parteizugehörigkeit und Konfession, wie ein Seminar über die Hintergründe dieser Attentate ergab, das am 22. April in Madrid, in Zusammenarbeit mit den Universitäten der Stadt durchgeführt wurde. Besonders betroffen sind aber Intellektuelle, die sich nicht von der Besatzungsmacht und Regierungsparteien vereinnahmen ließen und sich deren Politik einer Aufteilung der Gesellschaft nach ethnischen und konfessionellen Kriterien widersetzen.[8]

Professor Abdul Razaq al-Na’as von der Universität Bagdad war beispielsweise ein bekanntes Gesicht in den Fernsehsendern Al-Jazeera und al-Arabija, wo er detailreich die Besatzungspolitik angeprangert und die ethnisch-konfessionell ausgerichtete Regierung kritisiert hatte. Am 28. Januar des Jahres wurde er von zwei Autos gestoppt und erschossen. Seinen Kollegen, Dr Abdullateef al-Mayah, ein prominenter Menschenrechtsaktivist traf es 12 Stunden nachdem er auf Al-Jazeera über die Korruption in der von den USA kontrollieren Regierung berichtet hatte.[9]

Organisierte Provokationen

Mörderische Anschläge auf schiitische Zivilisten, für die sunnitische Extremisten um den ominösen, mittlerweile von US-Truppen getöteten Jordaniers Abu Musab al-Zarkawi verantwortlich gemacht werden und das Agieren von Todesschwadronen hatten seit Beginn der Besatzung zunehmende Spannungen zwischen den Religionsgruppen provoziert. Nach dem Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra eskalierte die Gewalt in einer neuen Qualität. Allein in den folgenden zwei Wochen wurden über 1000 Sunniten getötet sowie Dutzende Moscheen beschädigt und zerstört. Bewaffnete Banden, oft in den Uniformen der Sicherheitskräfte, streifen offen umher und machen Jagd auf ihre Gegner. Täglich werden Dutzende von Leichen gefunden, die oft in Gruppen von der Gegenseite hingemetzelt wurden. Auch die Zahl der Bombenanschläge auf sunnitische wie schiitische Gläubige nahm zu. Immer mehr Familien fliehen aus Vierteln, in denen sie stark in der Minderheit sind. Viele Experten sehen in diesem gegenseitigen Morden bereits den Beginn eines umfassenden Bürgerkriegs.

Hintergrund ist aber nicht, wie es meist heißt, ein traditioneller Konflikt zwischen den Religionsgemeinschaften. Die Gewalt ist, wie viele Beobachter feststellten, in der Regel „von oben“ organisiert: „Pogrome im Balkanstil, bei denen sich Nachbarn gegen Nachbarn wenden“ gab es bisher keine, so Jonathan Steele vom “Guardian”.

Keiner der vielen bewaffneten Angriffe auf sunnitische Einrichtungen nach dem Anschlag auf die Goldene Moschee machte den Eindruck eines spontanen Racheaktes. Die meisten Berichte deuten vielmehr darauf hin, dass sie von organisierten Einheiten initiiert worden waren. Hauptverdächtige waren auch hier die Milizen der schiitischen Parteien und Einheiten die dem Innenministerium unterstehen.[10]

Viele Iraker und Nahostexperten, die die Möglichkeit eines Bürgerkriegs aufgrund der langen säkularen und nationalen Tradition bisher ausgeschlossen hatten, sind zunehmend besorgt, dass aus den aktuellen Kämpfen tatsächlich ein umfassender Bürgerkrieg entstehen könnte und das Land, dessen Zentralregierung keine Autorität besitzt – in die Einflussgebiete der verschiedenen irakischen Kräfte zerfallen könnte.

 

Der Innenminister räumte das Problem der Milizen ein, bestreitet aber, dass die Angreifer unter Kontrolle seines Ministeriums oder seiner Partei stehen würden und behauptete, sie würden in gestohlenen Uniformen und Fahrzeugen agieren. Die Frage, warum die randalierenden und mordenden Einheiten sich so frei – selbst während der Ausgangsperre – bewegen können, konnte er aber nicht beantworten. Auch nicht, wie dann ein Teil der von diesen Milizen Entführten in die Kerker und Verhörzentren seiner Polizei geraten kann.

 

Ein Hinweis, dass es sich um gezielte Provokationen handelt, die einen allgemeinen Konflikt zwischen den Religionsgemeinschaften schüren sollen, ist der Zeitpunkt der mit dem Anschlag auf die Goldene Moschee einsetzenden Eskalation. Sie ereignete sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Bildung einer neuen Regierung und zu einer Zeit, als sich die Widersprüche nicht nur zwischen den irakischen Parteien, sondern vor allem auch zwischen den USA und ihren langjährigen schiitischen Partnern massiv zugespitzt hatten.

„Das Timing des al-Askari-Anschlags war sehr gezielt,“ mutmaßte beispielsweise Mutahana Hareth Al-Dari, der Sprecher der Vereinigung Islamischer Gelehrter (AMS). Er geschah als auf Druck des US-Botschafters Zalmay Khalizad ernsthafte Gespräche über die Bildung einer nationalen Einheitsregierung aufgenommen worden waren. Da eine solche Regierung die Mehrheitsverhältnisse bei den Wahlen missachte, hätten einige Wahlgewinner dieses Drängen als Versuch begriffen, „ihren Wahlerfolg zu sabotieren“, so Al-Dari. „Ihre Antwort gaben sie in Samarra.“[11]

Die schiitischen Regierungsparteien, von denen Al-Dari hier sprach, waren in der Tat alarmiert über den abrupten Kurswechsel der US-Regierung, die im Zuge einer aggressiveren Politik gegen den Iran versuchten, den Einfluss der pro-iranischen Organisationen zurückzudrängen und sogar erste Gespräche mit sunnitischen Widerstandsgruppen aufgenommen hatte.

Bis dahin hatte ihnen das Streben der USA, irakische Kräfte gegen die breite Opposition im Land in Stellung zu bringen, ermöglicht, sich entscheidende Machtpositionen zu sichern. Die erneute Stimmenmehrheit des von ihnen dominierten schiitischen Wahlbündnisses bot die Chance, diese dauerhaft zu sichern.

Eine Einheitsregierung hingegen bedeutete für sie zwangsläufig einen Rückschlag. Vor allem der SCIRI wehrte sich vehement gegen den Verlust wichtiger Kabinettsposten, wie den des Innenministeriums. Seine Führer hatten offen angekündigt, dass sie sich mit allen Mitteln, den Versuchen entgegen stellen werden, ihnen die gewonnene Stellung streitig zu machen, , auch mit Gewalt. Der SCIRI ist mit seinen Badr Brigaden und den von ihm kontrollierten Sicherheitskräften militärisch nach der kurdischen Allianz aus PUK und KDP die zweitstärkste irakische Kraft. Doch auch unter den Schiiten folgt nur eine Minderheit seinem radikalen Kurs und es stehen ihm nicht nur sunnitische und säkulare Organisationen, sondern auch starke, national orientierte schiitische Kräfte, wie die Bewegung Muqtada Al Sadrs, gegenüber. Dieser hat vor allem bei den armen Schichten viele Anhänger und ist um eine Bündelung von Kräften gegen die Besatzung bemüht. Die Chancen des SCIRI sich durchzusetzen, wachsen daher in dem Maße, wie es ihm gelingt, diese Kräfte stattdessen in einen umfassenden Konflikt zwischen den Konfessionen zu verwickeln. Dies hat sich auch nach den Kompromissen bei der Regierungsbildung, die den Einfluss des SCIRI nur wenig schmälerten, nicht geändert.

„Salvador Option“

Doch nicht nur der SCIRI, auch die Besatzer und die kurdischen Verbündeten haben ein massives Interesse daran, ein Zusammengehen oppositioneller schiitischer Gruppen mit säkularen und sunnitischen Besatzungsgegner zu verhindern. Iman Amad Khammas, Journalistin und ehemalige Direktorin von Occupation Watch in Bagdad, ist sich daher sicher, dass die Konflikte geschürt werden, um die Bevölkerung zu spalten und den Widerstand gegen die Besatzung sowie gegen die Politik der schiitischen und kurdischen Regierungspartien zu schwächen. Auch wenn die Gewalt sektiererisch erscheine und sich vorwiegend gegen Angehörige anderer Konfessionen richte, so sei die Religion nur eine Fassade, erklärte sie beim erwähnten Seminar in Madrid. In Wirklichkeit ginge es um politische Macht.

Hinweise dafür, dass die Besatzungsmacht diese Entwicklung fördert, sah sie in deren Untätigkeit gegen gewaltsame Ausschreitungen, die direkt vor der Nase ihrer Truppen geschahen und in den zahlreichen Fällen, wo Besatzungstruppen und schiitische Milizen Hand in Hand arbeiteten. So, als schiitische Milizen beim Versuch in den vorwiegend sunnitischen Bagdader Stadtteil Adhamiya einzudringen, von dessen Einwohnern mit Waffengewalt zurückgeschlagen wurden und anschließend US-Truppen gegen die sunnitischen Verteidiger vorgingen.

 

Andere Experten auf dem Seminar vermuten, dass die Besatzungsmächte unmittelbar in das Treiben der Todesschwadrone verwickelt sind. Da die Bemühungen, eine dauerhafte Kontrolle über das Land zu erringen, bisher am wachsenden irakischen Widerstand scheiterte, habe Washington begonnen, auf die bereits in Vietnam und El Salvador angewandten Taktiken eines schmutzigen Krieges zurückzugreifen, so John Catalinotto vom International Action Center in New York. Dazu zählte auch die Einschüchterung und Ermordung führender Köpfe dieser Länder.

 

In dieselbe Richtung zielte auch eine kürzlich erfolgte Anfrage des US-Kongressabgeordneten Dennis Kucinich an den Verteidigungsminister der USA. Er forderte darin eine Kopie aller Unterlagen über die Pläne des Pentagons, irakische Mord- und Entführungskommandos durch US-amerikanische Spezialkräfte trainieren und unterstützen zu lassen. Kucinich bezieht sich dabei auf ein Projekt, das im Januar 2005 durch einen Bericht des US-Magazins Newsweek bekannt geworden war. In Anlehnung an ein von US-Präsident Jimmy Carter initiiertes Militärprogramm zum Aufbau paramilitärische Einheiten in El Salvador, erhielt es den Namen „Salvador Option“. Diese Einheiten waren damals eingesetzt worden, um Führer der linksgerichteten Befreiungsbewegung und deren Sympathisanten zu liquidieren. Zehntausende unschuldiger Zivilisten wurden dabei zwischen 1981 und 1992 ermordet oder „verschwanden“.

 

Das Pentagon hat die Existenz eines solches Projektes im Irak dementiert, es gibt jedoch, so Kucinich, „immer mehr Hinweise, die nahe legen, dass die USA tatsächlich irakische Mord- und Entführungskommandos finanziert und trainiert haben und dass diese Einheiten nun aktiv sind, mit entsetzlichem Erfolg.“ [12] So hat die US-Regierung nachweislich Ende 2004 drei Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um aus Milizen der verbündeten früheren Exilgruppen, paramilitärische Einheiten aufzubauen. Mit dem Aufbau betraut wurden US-Experten, die in den 1980er Jahren eine führende Rolle in den schmutzigen Kriegen in Mittelamerika gespielt hatten. Zu diesen zählen insbesondere der oberste „Berater“ des irakischen Innenministeriums, Steven Casteel, und der Berater des US-Botschafters für „irakische Sicherheitskräfte“ Colonel James Steele. Casteel war in den 1990er Jahren geheimdienstlich in Kolumbien tätig und wird mit dem Entstehen der berüchtigten Todesschwadron „Los Pepes“ in Verbindung gebracht, die wiederum den Kern der heutigen AUC (Autodefensas Unidas de Colombia, Selbstverteidungseinheiten Kolumbiens), die Dachorganisation der berüchtigten kolumbianischen Paramilitärs bildete.

Steele leitete von 1984-1986 in El Salvador den Aufbau und das Training salvadorianischen Spezialeinheiten, die „die Aufgabe hatten die Führung der ‚Aufständischen’, ihre Unterstützer, Nachschubquellen und Basislager zu bekämpfen.“ Zu seinem aktuellen Aufgabengebiet gehört die Zusammenarbeit mit irakischen Eliteeinheiten zur Aufstandsbekämpfung, wie den „Spezialpolizeikommandos“ des Innenministeriums. [13]

Erster US-Botschafter im Irak und Nachfolger von Statthalter Paul Bremer war John Negroponte, der in selbiger Funktion in Honduras eine Schlüsselrolle im terroristischen Krieg gegen die Unabhängigkeit Nikaraguas und die Befreiungsbewegungen El Salvadors und Guatemala spielte.

Die ersten irakischen Spezialeinheiten wurden Berichten der Los Angeles Times und Washington Post zufolge mit technischer und logistischer Unterstützung aus den USA im Frühjahr 2005 einsatzbereit gemacht. Unter diesen neuen paramilitärischen Truppen, bestehend aus 12.000 gut ausgebildeten irakischen Veteranen von Sondereinheiten des alten Regimes, waren auch die mittlerweile berüchtigten Wolf-, Skorpion- und Tigerbrigaden. Zur selben Zeit, so Kucinich, begann die Welle von Entführungen und Exekutionen – ganz im Stil der mittelamerikanischen Todesschwadrone. Eine Vielzahl weiterer Berichte belegen die folgende enge Zusammenarbeit von US-Truppen mit diesen Einheiten. Sie belegen auch, wie gut die US-Regierung über das Treiben irakischer Sicherheitskräfte Bescheid wusste – lange bevor der US-Botschafter begann, das Innenministerium wegen Entführungen, Folter, Vertreibungen und extralegaler Hinrichtungen durch ihm unterstehende Einheiten zu kritisieren. Gerne wird bei der plötzlichen Sorge um die Menschenrechte verschwiegen, dass die Sicherheitskräfte durchaus nicht nur aus schiitischen Einheiten bestehen. Ein guter Teil der paramilitärischen Verbände, wie die sogenannten „Spezialpolizeikommandos“, die an vorderster Front mit den US-Truppen gegen den bewaffneten Widerstand kämpfen, werden nach wie vor von Baath-Mitgliedern geführt, die enge Verbindungen zum ersten Übergangspremier Iyad Allawi und den Besatzungstruppen haben.

Alle Kommandos werden von US-amerikanischen „Verbindungsteams“ (Special Police Transition Teams SPTTs) beraten und unterstützt, die fest in die Einheiten integriert sind. In der Abteilung „Operationen“ („Operations Directorate“) des Innenministeriums werden die Aktionen dieser Kommandos zusammen mit Führungsstäben und Geheimdiensten der Besatzungsmächte vorbereitet. Koordiniert wird diese Zusammenarbeit von einem Stab von US-Offizieren innerhalb des „Nationalen Kommando Zentrums“ des Innenministeriums.[14]

 

Willkommener Bürgerkrieg

Die kritischen Töne Washingtons gegenüber dem Innenministerium drücken daher keine prinzipielle Ablehnung der brutalen Praktiken der Sondereinheiten aus. Im Gegenteil: sie werden häufig von führenden US-Offizieren für ihre hervorragende Effizienz gelobt. „Die ‚Spezialpolizeikommandos’, wie die ‚Wolf -Brigade’ haben den Ruf der Brutalität, doch die Gruppe wird auch als eine effektivsten und diszipliniertesten Aufstandsbekämpfungseinheiten angesehen“, fasst der regierungsnahe Council on Foreign Relations die Einstellung Washingtons zu diesen Verbänden zusammen.[15]

Die Kritik richtet sich vielmehr gegen die gewachsene Stärke ihrer ungeliebten schiitischen Verbündeten. Diese ist zum ernsten Problem für die US-Politik im Mittleren Osten geworden und natürlich vor allem denen ein Dorn im Auge, die sich für eine aggressivere Gangart bei ihrer Durchsetzung einsetzen. Ein Umschlag in einen Bürgerkrieg käme daher zumindest Teilen der US-Regierung nicht ungelegen. „Ein Bürgerkrieg wäre eine humanitäre Tragödie aber keine strategische“, so Präsidentenberater Daniel Pipes, einer der führenden Neokonservativen. Im Gegenteil: „wenn sunnitische Terroristen schiitische angreifen und umgekehrt, sind Nicht-Muslime viel weniger in Gefahr, getroffen zu werden.“ Die Verluste der Besatzungstruppen würden, so das Kalkül der US-Falken, in diesem Fall deutlich reduziert. Es würde auch das Ende der Demokratisierungsbemühungen im Nahen- und Mittleren Ostens bedeuten, die nur dazu führen, dass „Islamisten durch Wahlen legitimiert werden.“ Eine weitere Chance bestünde darin, dass Syrien und Iran in den Konflikt hineingezogen würden und sich dadurch die Möglichkeit für eine Konfrontation der USA mit diesen Staaten beschleunige. [16]

 

Die Vorschläge führender Demokraten in Washington unterscheiden sich von denen der neokonservativen Hardliner nur in der Verpackung. Sie plädieren für eine Aufteilung des Landes in wenigstens drei quasi selbständige Teile: einen kurdischen Teil im Norden, einen sunnitischen in der Mitte und einen schiitischen im Süden. Um das Land vor einem Bürgerkrieg zu bewahren, müsse es dezentralisiert werden, drängte Joseph R. Biden, ranghöchster Demokrat im außenpolitischen Ausschuss des US-Senats, Anfang Mai in Leitartikeln in der New York und anderen US-Zeitungen, die er gemeinsam mit Leslie H. Gelb dem Ehrenpräsidenten des einflussreichen Council on Foreign Relations, verfasst hatte.[17] Die neue Verfassung würde dies ermöglichen, da sie es auch anderen Provinzen gestattet, sich wie die kurdischen zu unabhängigen Regionen mit weitreichenden staatlichen Befugnissen zusammenzuschließen.

Die USA könne den Krieg im Irak nicht gewinnen und auch „Iraks neue Regierung der nationalen Einheit“ könne „die Verschlechterung der Lage nicht stoppen.“ Die einzige Möglichkeit die eskalierende Gewalt zwischen den Volks- und Religionsgruppen zu stoppen wäre, wie in Bosnien, jeder Gruppe Raum zu geben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Gleichzeitig würde dies den USA ermöglichen ihre Ziele im Irak auch mit stark reduzierter Truppenstärke weiter zu verfolgen.

Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse in Irak sind diese Pläne, wie auch der renommierte Irak-Experte Anthony Cordesman vom Washingtoner Zentrum für Strategische und Internationale Studien feststellte, in Wirklichkeit ein Rezept für ethnische Säuberungen und einen wirklich umfassenden, langanhaltenden Bürgerkrieg. „Den Irak zerstören um ihn zu retten“ fasste Robert Dreyfuss, die Pläne dieser „Mini-Churchills“ zusammen. Er spielte dabei auf die berüchtigte Erklärung eines US-amerikanischen Armeekommandeurs im Vietnamkrieg an, seine Truppen „hätten das Dorf zerstören müssen um es zu retten.[18]

 

Unabhängig davon, in wie weit die Besatzungsmächte tatsächlichen direkt in den schmutzigen Krieg gegen den Widerstand und das Schüren konfessioneller Konflikte verwickelt sind, so das Fazit des Seminars in Madrid, sind sie die Hauptverantwortliche für die irakische Misere. Sie sind nach internationalem Recht für den Schutz der Zivilbevölkerung zuständig. Stattdessen schufen sie die Grundlage für den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und fördern die Spaltung der Gesellschaft. Mit der Auflösung von Polizei, Armee und auch der meisten anderen staatlichen Institutionen, beseitigten sie zunächst die wesentlichen Bastionen eines säkularen und einheitlichen Staates. Konfession und Volkszugehörigkeit wurden zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die formalen Organisationsprinzipien der Politik. Die wichtigsten Ämter des Staates wurden den extremistischen kurdischen und schiitischen Parteien überlassen, die ihre Ziele durch Schüren religiöser und ethnischer Gegensätze verfolgen. Parallel zum Krieg der US-geführten Truppen gegen die Gegner der Besatzung, führen diese ihre eigene Kriege für ihre eigenen Interessen – schmutzige Kriege gegen die Zukunft Iraks.

 

Das wahre Gesicht des Regimes im Irak passt nicht zum Bild des erfolgreichen Übergangsprozesses zur Demokratie, das von Politikern und Medien verbreitet wird. Es wird sich auch durch die neue Regierung, die im wesentlichen von den selben Kräften getragen wird, wie ihre Vorgänger, nicht ändern. Nachrichten, die dieses Bild in Frage stellen, sind nicht erwünscht, daher musste Al Jazeera sein Büro in Bagdad schließen und wahrscheinlich mussten deswegen Atwar Bahjat und viele ihrer Kollegen sterben.

Werden aus diesem Grunde auch kritische Intellektuelle ermordet und aus dem Land getrieben? Um die Hintergründe der Morde an Journalisten, Akademikern, Ärzten und anderen aufzuklären, bedarf es dringend unabhängiger Untersuchungen. Dies war daher auch die zentrale Forderung auf dem Seminar in Madrid. Die vom BRussels Tribunal initiiert Kampagne zum Schutz der Akademiker wandte sich dazu bereits an den Sonderberichterstatter gegen summarische und willkürliche Exekutionen  des Hohen Kommissariats für Menschenrechte der UNO (OHCHR) und übergab ihm entsprechendes Material. Der Sonderberichterstatter hat das Mandat solche Fälle eigenständig aufzugreifen und von den irakischen Behörden und den Besatzungstruppen Aufklärung über die Verbrechen zu fordern.

Die Vertreter der Autonomen Universität Madrid kündigten an, sich mit der Forderung auch an andere internationale Organisationen wie die UNESCO zu wenden und sich um eine gemeinsame Initiative aller spanischen Universitäten dafür zu bemühen. Die Rektorenkonferenz der öffentlichen Universitäten Madrids schloss sich in einer Erklärung diesen Forderungen an.[19] Auch in anderen Ländern sollen Hochschulen, Kliniken und Parlamente gewonnen, diese Forderung zu unterstützen. Es ist zu hoffen, dass sich auch hierzulande eine ähnlich breite Initiative entwickelt. Unabhängige Untersuchungen würden, über die Hintergründe der Anschläge auf Akademiker hinaus, ein deutlicheres Bild des wahren Charakters des herrschenden Regimes im Irak schaffen. 

 



[1]Part of me died when I saw this cruel killing“, The Sunday Times, 7.5.2006

[2] Warum starb die Journalistin Atwar Bahjat – Erinnerungen eines ehemaligen Aljazeera-Korrespondenten im Irak, Freitag, 07.04.2006, http://www.freitag.de/2006/14/06140802.php

[3] siehe „Kein Glaubenskrieg“, junge Welt, 03.03.2006

[4] Sabah Ali, „109 Iraqi Journalists killed in Iraq Under Occupation“, BRussells Tribunal, 8.5.2006

[5]Bodies flood Baghdad mortuary“, Aljazeera, 5.7.2006

[6]Iraq's death squads: On the brink of civil war“, The Independent, 26.2.2006

[7] List of killed, threatened or kidnapped Iraqi Academics, BRussels Tribunal, http://www.brusselstribunal.org/academicsList.htm

[8] „Ein Krieg, um die Kultur und die Zukunft der Iraker zu zerstören“, Bericht vom Internationales Seminar über die Ermordung von irakischen Akademikern und Angehörigen des Gesundheitswesens, Madrid, 22./23. April, http://www.iraktribunal.de/internat/madrid_april2006/kurzbericht.htm

[9] Haifa Zangana, „Death of a professor - There is now a systematic campaign to assassinate Iraqis who speak out against the occupation”, The Guardian, 28.2.2006, „Killing of intellectuals in Iraq“, http://www.dawn.com/2006/03/18/ed.htm, Dawn, 18.3.2006 , Dirk Adriaensens, Iraqi academics in the killing zone, BRussells Tribunal 2.2. 2006

[10] s. „Kein Glaubenskrieg“, a.a.O.

[11] There is ethnic cleansing“, Al-Ahram Weekly, 2.3.2006

[12]Kucinich Asks Tough Questions of Bush, Rumsfeld“, http://www.kucinich.us,  May 6, 2006

[13] siehe Max Fuller, „Crying Wolf: Media Disinformation and Death Squads in Occupied Iraq“, GlobalResearch.ca, 10.11.2005 und „For Iraq, ‚The Salvador Option’ Becomes Reality“, GlobalResearch.ca, 2.6.2005

[14] Max Fuller, "Diyala - A Laboratory of Civil War? - A recent case study in the dynamics of occupation and sectarianism", http://www.brusselstribunal.org/DiyalaFuller.htm

[15] IRAQ: Militia Groups, Council on Foreign Relations, 9.6.2005 oder auch: „Despite its heavy-handed tactics, the group has proved useful to counterinsurgency operations.“ (Backgrounder: Shiite Militias and Iraq's Security Forces, CFR, 30.10.2005)

[16] „Iraq's plight is neither a coalition responsibility nor a particular danger to the West. Fixing Iraq is neither the coalition's responsibility, nor its burden. When Sunni terrorists target Shi'ites and vice versa, non-Muslims are less likely to be hurt. Civil war in Iraq, in short, would be a humanitarian tragedy, but not a strategic one.“ (Daniel Pipes, „Civil war in Iraq?“ Jerusalem Post; 1.3.2006), s.a. Civil War in Iraq?, New York Sun, 28.2.2006

[17] s. junge Welt v. 3.5.2006

[18] Robert Dreyfuss, „Destroying Iraq To Save It“, Tomdispatch, 8.5.2006

[19] „On generalized violence in Iraq and the killing of Iraqi University Professors„ Declaration of the Conference of Rectors from Madrid Public Universities (CRUMA), 12.6.2006, http://www.iraqsolidaridad.org/2006/docs/represion_15-06-06.html