Irak-Tribunal fordert Ende der Besatzung
Anhörung über US-Kriegsverbrechen in Berlin / Völkerrechtsverletzungen verurteilt 
 
Von Olga Burkert 
Neues Deutschland vom 21.06.04
 
Bei der ersten deutschen Anhörung für ein Internationales Tribunal der Völker wurden die Kriegsverbrechen der Besatzungsmächte während und vor allem nach dem Irak-Krieg scharf verurteilt. Völkerrechtler und Friedensaktivisten kritisierten den Bruch des Völkerrechts.
»Sie schießen auf alles, was ihnen in den Weg kommt.« Der belgische Arzt Gert van Moorter erntete großen Beifall bei seiner bewegenden Rede über die Situation in Irak. Erst vor drei Wochen kehrte er das letzte Mal aus Bagdad zurück. Insgesamt verbrachte er in den vergangenen zwei Jahren sechs Monate als Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation »Medical Aid for the Third World« in Irak und beobachtete dort die haarsträubende Gewalt der Besatzungstruppen.
Van Moorter war Augenzeuge zahlreicher Angriffe von Soldaten auf die Zivilbevölkerung, so beobachtete er den grundlosen Beschuss eines Ambulanzfahrzeuges, das sich mit zwei hochschwangeren Frauen auf dem Weg ins Krankenhaus befand. Seine Worte untermauerte er mit Fotos, die stark verletzte Iraker zeigten und die die immer noch andauernde Aggression gegen die Zivilbevölkerung dokumentierten. Diese Verbrechen gegen die Menschenrechte und die eklatanten Verstöße gegen das Völkerrecht durch die Besatzungsmächte standen im Vordergrund der eintägigen Anhörung der »Initiative für ein Internationales Tribunal der Völker über die Aggression gegen den Irak«, die am Sonnabend in Berlin stattgefunden hat.
Völkerrechtler und Friedensaktivisten kamen zusammen, um mit den Methoden eines Gerichtsverfahrens in einem symbolischen Tribunal Beweise gegen die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen zusammenzutragen. Augenzeugen wie Gert van Moorter oder die irakische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Haifa Zangana berichteten über die prekäre Lage in Irak. Teilnehmer aus Indien, den USA, Russland und Großbritannien hielten Vorträge über die dort stattfindenden Vorbereitungen für das geplante Internationale Abschlusstribunal im kommenden Jahr.
Einig waren sich alle Teilnehmer in einem Punkt: Die Besatzungstruppen müssen Irak unverzüglich verlassen. Immer wieder wurde gefordert, dass die volle und uneingeschränkte Souveränität an die Iraker übergeben werden müsse. Nur so könne das Land den Weg zum Frieden finden. »Penetrant wird an der Lüge des Terrorismus festgehalten, um so die moralische Legitimation für eine Intervention zu schaffen«, verurteilte der Völkerrechtsexperte Norman Paech das Vorgehen der USA.
Die »illegale Invasion« der USA und ihrer Bündnispartner habe weder eine juristische noch eine moralische Legitimation und verstoße darüber hinaus gegen das Völkerrecht und die Genfer Konvention, beklagte der US-amerikanische Völkerrechtler Lennox Hinds, Vizepräsident der Internationalen Organisation demokratischer Anwälte (IADL). Er warf den USA »entsetzliche Überheblichkeit« vor.
Viel Raum wurde den irakischen Stimmen und Berichten von Augenzeugen gegeben. Es ging um die konkreten Auswirkungen der immer noch andauernden Kampfhandlungen für die Bevölkerung. Van Moorter und Zangana stimmten in ihren Beiträgen überein, dass die Situation für die Menschen im vergangenen Jahr »in fast jeder Hinsicht schlechter geworden ist«. Es fehle an überlebenswichtigen Gütern wie sauberem Wasser und Elektrizität. 70 Prozent der irakischen Bevölkerung seien heute arbeitslos. Das Leben sei, besonders für Frauen und Kinder, noch unsicherer geworden, Entführungen und auch Morde sorgten für zusätzliche Angst, so Zangana.
Begleitet von lautstarker Zustimmung der rund 150 Tribunalteilnehmer schloss van Moorter seine wortgewaltige Rede über die andauernden Verbrechen der Besatzungsmächte mit einem Aufruf, der exemplarisch für das Anliegen der Anhörung stehen kann: Stoppt die Vereinigten Staaten der Aggression! Auch wenn viele Informationen über die Konsequenzen des anmaßenden unilateralen Verhaltens der USA und ihre dreisten Lügen zur Rechtfertigung eines nicht legitimierten Krieges inzwischen bekannt sind – sie können nicht oft genug betont werden. In dieser geballten Form hat das Tribunal der formulierten Anklage neues Gewicht verliehen. Einen Wermutstropfen gab es aber auch: Dem erklärten Ziel der Organisatoren, eine breite Gegenöffentlichkeit zu schaffen, entsprach das schmale Besucherspektrum kaum.

(ND 21.06.04)