[Home]

Wolfgang Richter

Die Tribunalidee und der Kampf um die Erhaltung des Friedens

Einleitungsreferat von Prof. Dr. Wolfgang Richter, Geschäftsführendes Mitglied des Präsidiums des Europäischen Friedensforums epf und Bundesvorsitzender der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. - GBM 

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste aus Nah und Fern,
liebe Teilnehmer und Sympathisanten der Idee,

mit dieser Veranstaltung wollen wir einen Beitrag zu einem internationalen Tribunal über den Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak zu leisten.

Nicht wenige der Anwesenden kennen die öffentlichen Tribunale, die wir in den Jahren 2000/2001 in Deutschland und weltweit über den Krieg der USA und der NATO gegen Jugoslawien durchführten. Die Friedensbewegungen aus mehr als einem Dutzend Länder beteiligten sich. In New York, Jaroslawi, Kiev, Rom, Athen, Wien, Sofia, Belgrad und schließlich in Berlin (mit Vorbereitungskonferenzen in Hamburg und Berlin) fanden Veranstaltungen statt - oft unter großer internationaler Beteiligung, insgesamt aus mehr als 70 Ländern - in denen nach juristischem Ritual Urteile gesprochen wurden. Von vielen dieser Veranstaltungen liegen Publikationen vor. Sie wirkten weiter in Schadenersatzklagen, wie im Falle der Opfer von Varvarin.

Weitgehend unbeachtet von der internationalen Öffentlichkeit fand anlässlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Koreakrieges auch ein Tribunal über diesen Krieg in New York und Washington statt, das auch Entschädigungsforderungen stellte.

Der Krieg gegen Afghanistan, der nach dem 11. September 2001 unter dem vagen und vorgeschobenen Grund der Terrorismusbekämpfung geführt wurde, hatte weitere internationale Konferenzen und Zusammenkünfte der Friedenskräfte hervorgerufen, von denen ich das Tribunal in Japan hervorheben möchte. Nicht alle der Aktionen sind uns bekannt.

Gegenwärtig haben wir bei der Tagung des Netzwerks Frieden und Menschenrechte in Brüssel sowie von der Tagung des Weltfriedensrates in Athen von internationalen Konferenzen und tribunalartigen oder - vorbereitenden Veranstaltungen eines Tribunals über den Irakkrieg in London, Mumbai, Kopenhagen, Brüssel, Japan, Istanbul, New York, Hiroshima, Tunis, Kiev, Stockholm sowie von zwei Veranstaltungen in Italien und Frankreich, deren Orte noch nicht feststehen, erfahren. Auch Tribunale über Kriege in dieser Region sind nicht ohne Geschichte, wenn wir nur an das Tribunal 1991 zum Golfkrieg in Stuttgart erinnern und das 1992 anschließende internationale Tribunal in New York beim International Action Center.

Ich habe in den letzten Monaten an nicht wenigen Beratungen teilgenommen, auf denen über die Notwendigkeit der öffentlichen Verurteilung dieses Krieges gesprochen wurde, sei es in Brüssel, Prag oder Athen, sei es im Kasseler Friedensforum oder im Forum Menschenrechte. Die Tribunalidee ist den Friedenskräften der Welt nicht neu. Das Nürnberger Tribunal, das die Alliierten nach dem zweiten Wehkrieg durchführten, ist in gewisser Hinsicht ihr Prototyp. Schon während des Krieges wurden Materialien gesammelt zur Verurteilung der Verbrechen, denn allen war klar, man würde die Verurteilung der Verbrechen und der Verbrecher nicht deutschen Nachkriegsgerichten überlassen können. Auch heute sind keine nationalen oder internationalen Gerichte tätig, denen man die Verurteilung der Vierbrechen des Jugoslawien-, des Afghanistan- und des Irakkrieges im Vertrauen auf die von ihnen geübte Rechtsprechung überantworten könnte.

Die Haager Anklagebehörde, das sog. Jugoslawientribunal, weigerte sich bekanntlich, Anzeigen wegen der Verletzung des Völkerrechts durch die NATO im Jugoslawienkrieg überhaupt nachzugehen, womit es sich selbst jeder Glaubwürdigkeit beraubte. Einem Internationalen Strafgerichtshof entziehen sich die USA durch Verweigerung. Es entsteht der Eindruck, es soll - auch durch aufschiebende Aussparung des Verbrechens der Aggression im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs - bei Verbrechen gegen den Frieden, bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach doppelten Standards gemessen werden. Das ist das Ende allen Rechts. All das erhärtet den Verdacht von Siegerjustiz, von Rechtsmissbrauch zur Legitimierung der völkerrechtswidrigen Durchsetzung eigener Interessen und sei es mit Hilfe von neokolonialen Kriegen, die gewissermaßen zum Nachweis der globalen Wettbewerbsfähigkeit von Großmächten geführt wurden. Die Maßstäbe des Nürnberger Tribunals blieben weitgehend folgenlos für die Nachkriegsordnung, in der es in mehr als zweihundert Kriegen noch einmal ebenso viele Kriegstote wie während des zweiten Weltkrieges gab, ca. 50 Millionen. Regierungsverbrechen des Krieges blieben unbestraft. Und so erfüllte sich gewissermaßen das Menetekel des Chefanklägers des Nürnberger Gerichts, Jackson, der im Namen der USA sprach: "Obwohl diese Gesetze zum ersten Mal auf die deutschen Aggressoren artgewendet werden, so können doch, wenn sie wirklich von Nutzen sein sollen, andere Anwendungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden; jede muss verurteilt werden, gleichviel,, welcher Staat sich ihrer schuldig gemacht hat, die Staaten, die hier die Verhandlungen führen, nicht ausgeschlossen." Die Geschichte hat uns diese Mahnung als ein Vermächtnis überantwortet, das die USA einzulösen nicht bereit sind.

So liegt es nahe, dass die Friedenskräfte in der Welt sich nach all den großen Kriegen seit 1945, sei es der Koreakrieg oder der Krieg gegen Vietnam, veranlasst sahen und sehen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, um wenigstens öffentlich die Maßstabe zu setzen, nach denen nach allen Regeln des Völkerrechts die Angeklagten zu verurteilen wären. Sie wollten die Moral nicht der herrschenden Rechtspraxis opfern. Sie konnten zwar die fehlende Strafgerichtsbarkeit nicht ersetzen, sie hatten keine Sanktionsgewalt, aber sie waren ein Aufstand des Gewissens, eine Instanz der Aufklärung der Weltöffentlichkeit über die politischen und ökonomischen Hintergründe, die wahren Ursachen, das Wesen, den tatsächlichen Ablauf, die Verbrechen und die Folgen der Kriege. Die Tribunale waren auch die Hoffnung der Opfer, ihnen das höchste Recht widerfahren zu lassen, das es gibt, die Anerkenntnis der Völker, dass ihnen schweres Unrecht angetan wurde, ihr Mitgefühl und ihre Solidarität. Wenn ihnen die Legalität ihrer Ansprüche offiziell auch bestritten wurde, ihre Legitimität vermochten und vermögen Tribunale zu erweisen. Der Schwerpunkt ihrer Resultate liegt auf Erkenntnis, denn sie enthält das Moment der Wahrheit, der Objektivität. Jeder von uns kennt das erste und zweite Russeltribunal über den Vietnamkrieg oder die nachfolgenden Russeltribunale, die in den 60er/70er Jahren die Augen der Weh auf sich zogen, bzw. die nachfolgenden ständigen Volkstribunale, die 1979 in Bologna ins Leben gerufen wurden. Jean Paul Sartre wies auf dem zweiten Russeltribunal gerade auf den Aspekt der Objektivität hin, der in der selbst auferlegten Pflicht der Tribunale zu einem Urteil gipfelt, das sich an den Normen und Gesetzen des internationalen Rechts orientiert. "Verbrecherisch' schön," sagte er, "aber die Teilnehmer eines Meetings wollen mehr, als eine vage ethische Kennzeichnung, die sich bei ihnen, da sie ungenau ist, in ein subjektives Unbehagen verwandelt: sie wollen, dass das vom Redner ausgesprochene Urteil den Charakter einer objektiven Bestimmung annimmt und immer bewahrt". [1]

Auch deshalb wurden die Jugoslawientribunale mit Anklageschriften, Zeugenaussagen und Expertenbeiträgen zu Urteilen geführt, die wenn schon nicht vor heutigen Gerichten, so doch vor der Geschichte Bestand haben.

Auch diese Auftaktkonferenz fühlt sich eingebettet in einen solchen Prozess, der zu Urteilen im nationalen und internationalen Rahmen führt, zu Urteilen, die vor der Geschichte Bestand haben. Sie fühlt sich zugleich als ein Bestandteil der internationalen Friedens- und Menschenrechtsbewegung.

Für die USA, so erklärte Barnett, stellt der Irakkrieg einen historischen Wendepunkt dar, den Moment, da Washington von der strategischen Sicherheit im Zeitalter der Globalisierung tatsächlich Besitz ergreift. Das klingt so, dass von jetzt an Sicherheitsinteressen oder vermeintliche solche, wozu auch der freie Zugang der USA, der NATO oder auch der "global player" zu den Ressourcen dieses Erdballs zählt, über völker- und menschenrechtliche Erwägungen und Zurückhaltungen gestellt werden sollen.

Wir beobachten eine offene und auch eine schleichende weltweite Militarisierung der Außenpolitik. Um so wichtiger ist es, mit Volkstribunalen dieser Art der allgemeinen Entwertung der Menschenrechtskonventionen und der UNO-Charta, des Völkerrechts als Maßstab des politischen Handelns von Regierungen und Staaten entgegenzuwirken. Man kann nicht leugnen, dass es einen sehr engen Zusammenhalt zwischen der Anwendung militärischer Gewalt und der Verfestigung und Vergrößerung dar globalen Ungleichheit gibt, weshalb auch der Zusammenhang von Sozialforen, Antiglobalisierungsbewegungen, Friedens- und Menschenrechtsbewegung sehr eng ist und sich gegenseitig ergänzt. Schon bei dem Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien haben wir diese Erfahrung gemacht. Selbst die jüngste Irakresolution des Sicherheitsrates der UNO ist unbegreiflich ohne die Berücksichtigung der geopolitischen und Erdölinteressen seiner Mitglieder. Wenn Kofi Annan in Sao Paulo vor Vertretern der Entwicklungsländer erst vor wenigen Tagen feststellen musste, dass die Welt heute ein viel ungleicherer Ort als vor 40 Jahren ist, so ist auch das eine Folge der zahlreichen Kriege, die in dieser Zeit geführt wurden.

Uns treibt die Sorge um, dass in der Folge der letzten Jahre mit einer erneuerten NATO-Doktrin multilaterale und primär diplomatische und dialogische Formen zur Lösung internationaler Konflikte gegenüber unilateralen Szenarien und militärischen Problemlösungen an Bedeutung verlieren könnten. Auch im Inneren der Staaten werden rechtsstaatliche Ansätze durch sicherheitspolitische Erwägungen verdrängt.

Öffentliche Tribunale wollen eine moralische Institution sein, die ihre Motive dem Ethos der UNO-Charta und Konventionen und ihre Methoden dem Völkerrecht entlehnen. Sie wollen einen Beitrag zur weiteren Motivierung, Mobilisierung und Vernetzung von Friedensbewegten leisten. Wir wollen nicht warten auf die nächste Bombe, sondern mit Tribunalen über Kriege, ihre Ursachen und Folgen, die Öffentlichkeit warnen vor einer Politik, die ohne wirksamen Widerpart auch weiterhin zu Kriegen führt.

Berlin, den 19.6.2004

[1] Vgl. dazu: N. Paech, G Stuby: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001 S. 419