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Rainer Rupp
Die legalisierte Folter 
Höchste Regierungsstellen der USA billigten Mißhandlung irakischer Gefangener

Folgender Bericht von Rainer Rupp, der in der jungen Welt v.  05.07.2004 erschien, war auch Basis seiner Aussage auf dem Berliner Hearing am 19.6.2004

Die Gefangenen seien wie Tiere behandelt worden, so die Brigadegeneralin Janis Karpinski, ehemalige Oberkommandierende der US-Gefängnisse im Irak, Mitte Juni dieses Jahres in einem Interview mit der britischen BBC. Die Mißhandlungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib begannen, nachdem dort die gleichen Methoden wie auf der US-Basis Guantánamo auf Kuba angewendet wurden. Um die neuesten Verhörmethoden einzuführen, war im September 2003 US-Generalmajor Geoffrey Miller, der Kommandant von »Gitmo« (so die Bezeichnung für das US Gefangenenlager auf Guantánamo im Militärslang), mit einem Team von Folterexperten nach Bagdad gekommen. Generalin Karpinski zitierte den ihr vorgesetzten Miller, wie dieser die Kursteilnehmer belehrt hatte: »Sie (die Gefangenen) sind wie Hunde, und wenn man ihnen auch nur für einen Moment erlaubt zu glauben, daß sie keine Hunde sind, dann hat man schon die Kontrolle über sie verloren.«1

»Gitmoisierung«

Generalin Karpinski weigerte sich in dem Interview, in dieser Sache »zum Sündenbock« gemacht zu werden. Schließlich hätten Mißhandlungen und Folter in den Zellenblöcken 1A und 1 B von Abu Ghraib stattgefunden, für die sie nicht zuständig gewesen sei. Diese Zellenblöcke haben in der Tat vorschriftswidrig dem Kommando von US-Oberst Thomas Pappas, dem Chef der nach Irak verlegten 205. Brigade des Militärischen Geheimdienstes des V. US Army Corps, unterstanden. Auf dem US-Flugplatz im hessischen Wiesbaden-Erbenheim sind die rund 850 Soldaten und Zivilangestellten dieser Einheit des Militärischen Geheimdienstes stationiert. Viele der Folterer und Mörder sind inzwischen wieder aus dem Irak zurückgekehrt – unbehelligt von der Militärjustiz. Bei seinem Aufenthalt in Bagdad, so Karpinski weiter, habe General Miller wiederholt gesagt, daß er Abu Ghraib »gitmoisieren« werde, und daß er und sein Team es gewesen seien, die Oberst Pappas im September 2003 mit den in Guantánamo angewandten Verhörmethoden bekanntgemacht haben. General Miller hat Karpinski inzwischen mit seinen »wertvollen« Guantánamo-Erfahrungen in Abu Ghraib ersetzt, nachdem sie wegen der Folterfotos vom Dienst suspendiert worden war.

Janis Karpinski, die bestreitet, von den Vorfällen gewußt oder sie gar geduldet zu haben, verwies statt dessen auf den US-Oberkommandierenden im Irak, Generalleutnant Ricardo Sanchez, »dem ein paar ernste Fragen gestellt werden müssen, wann er was über die Vorfälle erfahren hat.«2 Einen Tag nach dem BBC-Interview bestätigte das Pentagon, daß General Sanchez im Rahmen einer »normalen Rotation« von seinem Posten im Irak abgelöst werde. Inzwischen hat ein US-Militärrichter verfügt, daß General Sanchez sich ebenso wie andere Topgeneräle der US-Armee einem Kreuzverhör der Verteidiger von zwei einfachen US-Militärpolizisten unterziehen müssen, denen wegen des Abu-Ghraib-Skandals der Prozeß gemacht wird. Die Verteidiger haben angekündigt, den Beweis dafür zu erbringen, daß »die höchsten Vertreter der militärischen und zivilen Führung Verhörmethoden gefördert haben, welche die Genfer Konvention verletzten«.3

Inzwischen steht außer Frage, daß in den geheimen und weniger geheimen US-Gefängnissen die Folter von Gefangenen »systematisch und weit verbreitet« war. Zugleich haben sich die Hinweise verdichtet, daß höchste US-Regierungsstellen – wahrscheinlich sogar der Präsident selbst – diese Verhörmethoden autorisiert haben. Dennoch verkündet die Bush-Administration weiterhin die Mär von »einigen wenigen Einzeltätern«, die dafür verantwortlich seien. Nur »einige wenige faule Äpfel« lägen im großen Korb der guten amerikanischen Demokratisierer im Irak, so die Botschaft des Weißen Hauses an den Rest der Welt, denn: »Amerika ist ein mitfühlendes Land, das an die Freiheit glaubt« und das »sich um jedes Individuum bemüht«, wie Präsident George W. Bush in einem Interview im arabischen Fernsehen konstatierte.

Hochrangige Schreibtischtäter

Die Zeiten, in denen diese Art plumper Propaganda Erfolg hatte, sind jedoch vorbei. Zum Nachteil der Bush-Administration haben sich jetzt selbst die großen US-Medien mit ihrem eindrucksvollen, investigativen Potential von der Vorstellung befreit, daß Kritik an der Regierung Bush ein unpatriotischer Akt sei. Inzwischen sprechen die bürgerlich-liberalen US-Medien nicht länger beschönigend von »Mißhandlungen« der Iraker, sondern ausdrücklich von »Folter«. Zugleich akzeptieren sie nicht länger die Fiktion von »nur wenigen faulen Äpfeln«, die für Folter und Mißhandlungen verantwortlich seien. Daß sogar die Spitzen der Bush-Regierung daran beteiligt sein könnten, begann vielen Amerikanern erstmals zu dämmern, als das renommierte US-Nachrichtenmagazin Newsweek Ende Mai berichtete, daß bereits zwei Jahre zuvor, am 25. Januar 2002, der juristische Chefberater des Weißen Hauses, Alberto Gonzales, Präsident Bush in einem abfälligen Memorandum über die Genfer Konvention geraten hatte, sich nicht länger an die Vorschriften dieser »verwunderlich kuriosen« und »längst überholten« Konvention von Genf zu halten.4

Das war der erste konkrete Hinweis auf die Schreibtischtäter an höchster Stelle. Dann ging es Schlag auf Schlag. Schon wenige Tage später wurde bekannt, daß im US-Justizministerium unter Verantwortung von Minister John Ashcroft, mehrere Memoranden für Präsident Bush abgefaßt worden waren, welche die »Legalität« von Folterverhören »unter bestimmten Bedingungen« als Rechtsposition des US-Justizministeriums wiedergaben. Anfang Juni dieses Jahres wurde Ashcroft vom Justizausschuß des US-Senats mit diesen Vorwürfen konfrontiert, wo er die »Legalität« der »neuen« Verhörmethoden verteidigte – er weigerte sich allerdings hartnäckig, diese zu beschreiben. Die Frage, wie viele Schmerzen einem Gefangenen während eines Verhörs »legal« zugefügt werden dürften, beantwortete er ebensowenig wie jene, ob Präsident Bush eine Direktive unterzeichnet habe, die festlegt, wie Gefangene zu verhören seien. »Ich glaube, daß bestimmte Kommunikationen des Präsidenten geheim bleiben müssen«, so Ashcroft.

Damit aber hatte er sogar seine republikanischen Parteifreunde im Kongreß verärgert, die sich ihre in der US-Verfassung verbriefte Oberaufsicht über die US-Administration nicht gerne streitig machen lassen. Senator Richard Durbin drohte Ashcroft sogar indirekt mit Gefängnis, als er sagte: »Sir, Justizminister, bei allem Ihnen gebührenden Respekt, Ihr persönlicher Glaube ist nicht Gesetz. Ihre Handlungen konnten Sie auch mit keinem Gesetz rechtfertigen. Ehrlich gesagt, was Sie tun, das fällt unter den Begriff ›Mißachtung des Kongresses‹«. Wenn »Mißachtung des Kongresses« festgestellt wird, dann kann selbst ein Minister mit empfindlichen Strafen, einschließlich Beugehaft, belegt werden. Die könnte Ashcroft blühen, wenn er sich weiterhin weigert, die Foltermemoranden des Justizministeriums dem Senat zur Einsicht zu überlassen.

Die Art und Weise, wie Ashcroft versucht hatte, sich bei seinem Auftritt vor dem Senat hinter »nationalen Sicherheitsbedenken« zu verstecken, hat wiederum die Washington Post zu einem vernichtenden Urteil über die Bush-Regierung veranlaßt. In einem Leitartikel hieß es, daß die Logik »der von Bush im Justiz- und Verteidigungsministerium eingesetzten politischen Freunde«, die ihre unsauberen Handlungen hinter dem Schleier der »Nationalen Sicherheit« versteckten, »nichts anderes ist als die Logik krimineller Regimes und Diktaturen rund um die Welt, die auch die Folter mit Verweisen auf die ›nationale Sicherheit‹ rechtfertigen.«5


Neue »Verhörtechniken«


Der erste große Durchbruch bei den Enthüllungen kam, als ein im März letzten Jahres im Pentagon verfaßter Bericht Anfang Juni 2004 dem Wall Street Journal zugespielt wurde und das Journal das 50 Seiten umfassende brisante Dokument prompt auf seine Internetseite stellte.6 Der Titel des für Verteidigungsminister Rumsfeld angefertigten Berichts lautet: »Gefangenverhöre im globalen Krieg gegen den Terrorismus«, Untertitel: »Bewertung der legalen, historischen, politischen und operationellen Erwägungen«. Inzwischen ist klar, daß es sich hier um ein Grundsatzdokument zur Rechtfertigung von Folter handelt. Aus diesem Bericht wird ersichtlich, wie die zivilen Rechtsberater des Pentagon mit spitzfindigen juristischen Tricks die Folter für den amerikanischen Gebrauch »legalisiert« haben, um so »an Informationen von vitaler Bedeutung zum Schutz ungezählter Tausender amerikanischer Bürger zu kommen«.

Die Pentagon-Juristen haben die Folter »legalisiert«, indem sie die Definition der Folter immer weiter eingeengt haben, so daß Tatbestände, die bisher als Folter galten, nach der neuen Pentagon-Definition plötzlich keine Folter mehr sind. Auf diese Weise wurden juristische Freiräume geschaffen, die in Zusammenarbeit mit Verhör- und Folterspezialisten von Rumsfelds Juristen anschließend mit insgesamt 24 neuen Verhörmethoden aufgefüllt wurden; sie werden in dem als »secret« klassifizierten Anhang des Pentagon-Berichtes detailliert beschrieben. Dieser Anhang jedoch war dem Wall Street Journal nicht zugespielt worden, so daß Informationen über jene Geheimmethoden bisher nur bruchstückhaft bekannt geworden sind. Offensichtlich gehören auch die sogenannten »Stress positions« dazu, – das sind bestimmte Körperhaltungen, in die die Gefangenen von US-Soldaten gezwungen werden und die nach einiger Zeit extrem schmerzhaft wirken. Obwohl das Pentagon versichert, die neuen Verhörmethoden seien im Einklang mit der Genfer Konvention, weigert sich das Ministerium, über sie aufzuklären. Zugleich hat Verteidigungsminister Donald Rumsfeld alle Forderungen des US-Kongresses nach Herausgabe des geheimen Anhangs resolut abgeschmettert.

Entsetzt vermerkte die Washington Post in einem Leitartikel, daß der Bericht »eine schockierende und unmoralische Ansammlung von Rechtfertigungen der Folter enthält«. In dem Pentagon-Papier werde argumentiert, daß der US-Präsident als Oberkommandierender der Streitkräfte die Autorität habe, amerikanisches und internationales Recht zu mißachten und die Folterung ausländischer Gefangener zu befehlen. Darüber hinaus werde allen Verhörspezialisten, die den Befehl des Präsidenten befolgen, strafrechtliche Immunität zugesichert. »Die Folter selbst wurde als Begriff ganz eng umdefiniert, so daß Techniken, die physische und psychische Schmerzen verursachen, als legal angesehen werden können«, schrieb die Zeitung und folgert: »All dies war lediglich das Vorspiel für die Einführung von 24 (neuen) Verhörtechniken für ausländische Gefangene – genau jene Techniken, die auch derzeit noch angewendet werden und die Präsident Bush als human bezeichnet.«7 In diesem Zusammenhang ist auch die Anweisung von George W. Bush vom 7. Februar 2002 zu sehen. Das unter wachsendem öffentlichen Druck am 22. Juni 2004 vom Weißen Haus veröffentlichte Dokument kann die gegen den US-Präsidenten erhobenen Vorwürfe jedoch nicht entkräften, obwohl dieser darin anordnete, die Gefangenen »human« und »gemäß der Genfer Konvention« zu behandeln. Denn nach der oben erwähnten Umdefinierung des Begriffes Folter durch die Juristen des Pentagons und des Justizministeriums entsprechen die 24 geheimen Verhörmethoden durchaus der Forderung nach »humaner« Behandlung« gemäß der Genfer Konvention. Noch ist nicht klar, ob es sich bei dem Memo vom 7. Februar 2002 um jene Direktive zur »Behandlung« der Gefangenen handelt, in der laut Pressesprecher des Weißen Hauses Präsident Bush »die großen Richtlinien« für die Verhörmethoden festgelegt habe.


Unheimliche Juristen

Die Experten des US-Justizministeriums haben bei der intellektuellen Vorbereitung für die Legalisierung der »Folter« dem Weißen Haus und dem Pentagon kräftig Amtshilfe geleistet. Das geht aus einem im August 2002 für das Weiße Haus verfaßten Memo der Rechtsabteilung des Justizministeriums hervor, das die Rechtsauffassung vertritt, daß »unter bestimmten Bedingungen« die Folter »legal sein könnte«. Die Washington Post, der das Memo zugespielt worden ist, hat es inzwischen auf ihrer Internetseite veröffentlicht (siehe: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A38894-2004Jun13.html).

Nur wenn die körperlichen Schmerzen, die einem Gefangenen zugefügt werden, mit dem intensiven Leiden vergleichbar sind, die normalerweise mit Organversagen oder Tod einhergehen, können sie als Folter bezeichnet werden, argumentieren die Juristen des Justizministeriums in diesem, für das Weiße Haus bestimmten Memo. In bezug auf psychische Folter argumentieren sie, daß nur dann von einer solchen gesprochen werden könne, wenn die Seelenqualen, die einem Gefangenen zugefügt werden, so schlimm sind, daß sie zu dessen monate- oder gar jahrelang andauernder geistiger Verwirrung führen.8 Für Minister Ashcrofts unheimliche Juristen heiligt der politische Zweck ganz offensichtlich die Foltermittel.

Sowohl der US-Kongreß als auch die großen Medien befürchten derweil, daß »die Legalisierung der Folter durch die Bush-Regierung das Leben eines jeden Amerikaners im Ausland gefährde«, so kürzlich Brigid O’Neil, eine Politikwissenschaftlerin vom kalifornischen Independent Institute.9 In diesem Zusammenhang erinnerte US-Senator Joseph Biden denn auch Justizminister Ashcroft während dessen Anhörung daran, daß »es einen Grund dafür gibt, daß wir diese Verträge (Genfer Konvention) unterzeichnen: Es geht darum, meinen Sohn zu schützen, der beim Militär ist«.

Dessenungeachtet ist der ehemalige Kommandant des US-Käfiglagers auf Guantánamo, US-Generalmajor Geoffrey Miller, der in Bagdad die Generalin Karpinski abgelöst hat und Gefangene »wie Hunde« behandelt sehen will, auch weiterhin Kommandeur von Abu Ghraib und aller anderen US-Gefängnisse im Irak. Die Tatsache, daß Mitte Juni bekannt wurde, daß nach der Kommandoübernahme des »Gitmo«-Lagers auf Guantánamo durch US-General Miller dort die Selbstmordversuche der Gefangenen sprunghaft gestiegen sind10, läßt erahnen, was Miller meinte, als er Generalin Karpinski anwies, die US-Gefängnisse im Irak zu »gitmoisieren«.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat kürzlich, ohne Angst vor Strafverfolgung haben zu müssen, eingestanden, daß er auf Wunsch des zurückgetretenen CIA-Chefs Tenet mindestens in einem Fall den Befehl dazu gegeben hat, einen Gefangenen ohne Registrierung und ohne Benachrichtigung des Roten Kreuzes in einem Geheimgefängnis der US-Armee »verschwinden« zu lassen. Aus mehreren Geheimdokumenten, die von der Bush-Regierung am 22. Juni veröffentlicht wurden, um die Vorwürfe zu entkräften, sie habe Folter stillschweigend geduldet, geht allerdings hervor, daß der Verteidigungsminister Ende 2002 zumindest zeitweise brutale Verhörmethoden zugelassen hat. Demnach durften Gefangene in »Gitmo« auf Guantánamo in schmerzhafte Körperhaltungen gezwungen, mit Hunden bedroht und zum Ausziehen gezwungen werden11. Auch bis zu 20 Stunden dauernde Marathonverhöre habe Rumsfeld genehmigt. Langsam dürfte es selbst den amerikanischen Bürgern klar werden: Nicht nur ein paar Äpfel, der ganze Korb ist faul.


1 »Iraq abuse ›ordered from the top‹« – BBC-News, 15.6.2004, 11:10 GMT 12:10 UK (http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/americas/3806713.stm).

2 »Iraq abuse ›ordered from the top‹«, ebenda.

3 »Iraq Update«, New York Times, 22.6.2004.

4 US-Nachrichtenmagazin Newsweek, Ausgabe vom 24.5.2004, »The Roots of Torture«, (Die Wurzeln der Folter).

5 »Legalizing Torture,« ebenda.

6 http://online.wsj.com/public/resources/documents/military_0604.pdf.

7 (»Legalizing Torture,« Editorial, The Washington Post, 9.6.2004).

8 »The army and torture: what the rule book says.« Michael R. Gordon, The New York Times, International Herald Tribune, 18.6.2004.

9 http://www.independent.org/tii/news/040614ONeil.html.

10 Matt Kelley, »Records examine Guantánamo suicide bids«, Associated Press Writer, 22.6.2004.

11 »USA veröffentlichen Akten zu Verhörtaktiken«, ARD-Tagesschau (http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/ 0,1185,OID3382770,00.html).