Zwei Augenzeugen
berichteten aus der besetzten irakischen Stadt Fallujah
Schwäbisches Tagblatt 26.02.2005
TÜBINGEN (hei). Von "zwei beispiellosen Angriffen" der Amerikaner
auf seine Stadt sprach am Donnerstag Mohammad Awad. Die Fotos und
Filme, die er und Mahammad Haded aus Fallujah im Schlatterhaus
zeigten, spiegelten ebenso wie die Augenzeugenberichte der beiden
Iraker vor allem eines wieder: Totale Zerstörung und
unvorstellbares Leid.
Fallujah ist eine Großstadt, die etwa 50 Kilometer westlich von
Bagdad liegt, in der einst 350 000 Menschen lebten und die als
Hochburg des irakischen Widerstands gilt. Beim ersten Angriff der
Amerikaner im vorigen April wurde die Stadt "jeden Tag mit
Tausenden von Bomben beschossen," sagte Awad, der mit Haded von
der Tübinger Gesellschaft "Kultur des Friedens" eingeladen
worden war. Die Iraker verteidigten ihre Stadt verbissen. Die
entsetzlichen Bilder, die damals aus den Straßen Fallujahs
an die Öffentlichkeit kamen, führten zu einem
internationalen Aufschrei und zum Abzug der amerikanischen Truppen.
Im November 2004 folgte ein zweiter Angriff. "Die Amerikaner
wollten Rache", sagte Awad, und nach wochenlanger Belagerung, in
der die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten war, begann
der Beschuss vom Boden und aus der Luft. 300 000 Menschen flohen
aus der Stadt und kamen zum Teil in Zelten unter, so Awad, der
Direktor des Flüchtlings- Hilfezentrums in Saqlawiya, unweit
Fallujahs, ist. "Die Misere ist groß", sagte er, "die
Amerikaner belagerten auch die Flüchtlingslager". Da es
keinerlei medizinische Versorgung gab, starben viele der
Geflüchteten, so Awad. Auch das Leid der Menschen in der
Stadt sei unvorstellbar. Awad erzählte von einer Familie, in
deren Haus die Amerikaner eindrangen und mehrere männliche
Familienmitglieder wahllos töteten. Ein Einzelfall sei dies
keineswegs: "Ohne Grund verhaften und töten die Amerikaner
Zivilisten."
Mahammad Haded gehört zum medizinischen Stab des
Zentralkrankenhauses in Fallujah und war während des
gesamten Angriffs in der Stadt. "Die Amerikaner kamen in die
Klinik, schmissen Ärzte und Kranke raus", sagte er, "und das
kleine Krankenhaus in der Stadt, in das wir flohen, wurde von den
Amerikanern beschossen." Haded zeigte private Videoaufnahmen, in
denen unter anderem verkohlte Leichen zu sehen waren, an denen man
sehen könne, dass die Amerikaner keine konventionellen
Waffen eingesetzt haben, sondern völkerrechtlich
geächtete Splitterbomben. Awad zeigte das Foto eines
weinenden Mädchens. Dessen ganze Familie sei getötet
worden. "Nur ihre Tränen sind geblieben."
Bis heute gibt es Schießereien in der Stadt, die Lebensmittel-
und die medizinische Versorgung sind schlecht. Auch nach den
Wahlen im Irak sehen die beiden Referenten keine Verbesserung der
Lage. "Die Wahlen waren ein Theater", sagten sie, "die Bewohner
von Fallujah konnten nicht wählen - sie mussten ihre Toten
begraben."
Für die Zukunft haben die zwei Iraker einen Wunsch: Die
Amerikaner sollen ihr Land verlassen. Die Belagerung des Iraks
halten sie für illegal, denn, so Awad, "wenn Saddam Fehler
gemacht hat, dann sind wir berechtigt, ihn abzusetzen - aber
keine fremde Macht darf unsere Kinder töten und unser
Öl nehmen." Bilder: Metz
INFO - Der Aufbau der Klinik wird von der Ärztevereinigung
IPPNW unterstützt. Sparkasse Gaggenau, KN: 50264639, BLZ
66551290, Kennwort: Fallujah.