Wahlen in Irak ändern nichts
Dr. Mahammad J. Haded: Widerstand gegen die Besatzer geht weiter 
 
Dr. Mahammad J. Haded lebt als Arzt in Falludscha. Momentan befindet er sich gemeinsam mit dem Leiter eines irakischen Flüchtlingshilfswerks auf einer Rundreise durch Deutschland, um aus seiner Sicht über die aktuelle Situation in Irak zu berichten.
Für ND sprach Peter Nowak mit dem Mediziner.

Neues Deutschland,  22.02.05

ND: Hat sich das Leben in Irak fast zwei Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein normalisiert?
Haded: Nein. Für die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ist es ein Kampf um das nackte Überleben. Fast die gesamte Infrastruktur ist noch immer zerstört. Strom gibt es oft nur zwei Stunden täglich. Ein Großteil der medizinischen Einrichtungen kann seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Hinzu kommen massive Preissteigerungen bei wichtigen Gütern des täglichen Lebens.
Die Löhne aber sind nicht gestiegen. Viele Menschen sind arbeitslos. Besonders schlimm sind die Lebensbedingungen in meiner Heimatstadt Falludscha. Von den ursprünglich 350000 Einwohnern leben noch knapp 20 Prozent in der Stadt. 80 Prozent sind geflohen, weil ihre Häuser zerstört sind, weil ihre Sicherheit in der Stadt nicht gewährleistet ist oder weil sie Angst vor der Verfolgung durch die Besatzungssoldaten haben. Man kann jederzeit verhaftet werden. Auch ich muss bei meiner Rückkehr mit Repressalien rechnen.

Bringen die Parlamentswahlen in Irak eine Wende zum Besseren?
Für uns hat sich durch die Wahlen nichts geändert. Die Regierung ist nicht in der Lage, die Lebensbedingungen zu verbessern und Sicherheit zu garantieren. Der Grund für diese Unfähigkeit liegt in ihrer Abhängigkeit von der Besatzungsmacht. Dadurch genießt die Regierung überhaupt kein Vertrauen in der Bevölkerung.

Wie erklären Sie sich die relativ hohe Wahlbeteiligung?
Wir kennen bisher nur die von den USA genannten Zahlen. Danach haben sich 59 Prozent der Bevölkerung an den Wahlen beteiligt. Unabhängige Beobachter gehen hingegen von einem Wähleranteil von höchstens 30 Prozent aus. In manchen Städten, beispielsweise in Falludscha, sind nur etwa drei Prozent zur Wahl gegangen.

Ist der irakische Widerstand durch die Wahlen in die Defensive geraten?
Nein. Der Widerstand ist eine spontane Antwort auf die Besatzung. Das Spektrum reicht von gewaltfreiem bis zu bewaffnetem Widerstand. Wenn sich jemand weigert, die USA-Soldaten willkommen zu heißen und ihnen den Zutritt zu seinem Haus verweigert, dann handelt es sich ebenfalls um Widerstand. Der geht nach den Wahlen genau so weiter wie vorher.

Zählen Sie Geiselnahmen von Journalisten wie beispielsweise der Il-Manifesto-Korrespondentin Giuliana Sgrena ebenso zum breiten Spektrum des Widerstands?
Nein. Wir müssen klar unterscheiden zwischen dem legitimen, durch UNO-Beschlüsse gedeckten Widerstand gegen die Besatzung und terroristischen Aktionen, wie die Entführungen oder die Ermordung von Geiseln, die wir ablehnen. Damit soll der legitime Widerstand in Verruf gebracht werden.

Gibt es eine politische Leitung dieses Widerstands?
Bisher nicht. Der Widerstand war eine spontane Reaktion gegen die Besatzung und dauert nun über 18 Monate an. Mit Sicherheit wird sich in Zukunft eine politische Leitung und ein Bündnis verschiedener Gruppen herausbilden. Doch entscheidend ist der alltägliche Widerstand.

Welches Gesellschaftsmodell wünschen Sie sich für Irak?
Die Besatzungstruppen müssen das Land sofort verlassen. Solange die im Land sind, kann es keine von der irakischen Bevölkerung legitimierte Regierung geben.
Genau so wichtig ist die Einheit Iraks. Bei uns leben verschiedene Nationalitäten zusammen. Doch früher verstanden sich die Menschen dort nicht als Sunniten, Schiiten oder Kurden, sondern als Iraker. Eine Regierung nach dem Ende der Besatzung muss daran wieder anknüpfen.

Weitere Stationen der Rundreise von Dr. Mahammad J. Haded: Mainz 23.2.; Tübingen 24.2.; Heidelberg 25.2.
Siehe auch www.iraktribunal.de