BRussels Tribunal
Bericht von Sylvia Weiss

BRussels Tribunal vom 14-17.4.2004;
Offizieller Titel des Tribunals: "Fragen zur Neuen Imperialen Weltordnung: eine Anhörung über das ?Projekt eines Neuen Amerikanischen Jahrhunderts' "
Das BRussels Tribunal steht in einer Reihe von mehreren weltweiten Tribunalen gegen die menschenrechtsverletzende und internationales Recht brechende US-Hegemonialpolitik bezüglich Iraks

(Anmerkung: Die Geschäftssprache des Tribunals war Englisch; man konnte sich Kopfhörer ausleihen, um französische und arabische Beiträge in englischer Übersetzung zu hören. Es gab eine überbordende Fülle von Statements und Argumenten in sehr schneller Folge, die hier natürlich nur zu einem Bruchteil wiedergegeben werde können. Trotzdem wird versucht, die wichtigsten Punkte des Tribunals hervorzuheben. Es gab vorab einen sehr informativen Reader für Journalisten, der schnell vergriffen war. Eine befreundete belgische Journalistin hat ihn mir beschafft. Anfügen möchte ich ebenfalls noch, dass in einem der zwei wichtigsten Museen Brüssels, dem Königlichen Museum für Kunst und Geschichte, gleichzeitig eine außergewöhnlich interessante Ausstellung mit dem Titel "Bagdad" (19.3. - 30.6.2004) gezeigt wurde. Für die Bagdad-Ausstellung war der vorausgehende Saal mit einer ebenfalls sehr interessanten Mesopotamien-Sonderausstellung bestückt worden. Die Bagdad-Ausstellung zeigt ca. 200 ungewöhnlich ausdrucksstarke, großformatige Fototafeln von Bruno Stevens für die Zeit vor, während und nach dem Krieg von 2003.)

Ab 17.30 Uhr, Mittwoch, den 14. April 2004, trafen Teilnehmer, Journalisten und Zuhörer in der Beursschouwbourg (Börsen-Schauburg, einem alternativen Theater mitten in der Stadt bei der Börse und in der Nähe des berühmten Brüssellerer Markplatzes) ein. Im Vorraum liefen künstlerische Videoinstallationen und Filme zum Thema Krieg. Bis zur offiziellen Eröffnung des Tribunals um 20 Uhr hatte man Zeit sich in der Kantine kennen zulernen. Es gab an allen Tagen sehr strikte Einlaßbedingungen und großen Andrang. Wer seinen Platz nicht vorbestellt hatte, kam nicht hinein.

Francois Houtart, Philosoph und Theologe, Direktor des Dreikontinente Centers (Tricontinental Center)
eröffnete das Tribunal. Er wies darauf hin, dass die Hauptfunktion des Tribunals sein solle, Menschen für bestimmte Situationen zu sensibilisieren und das ans Tageslicht zu bringen, was nicht gleich sichtbar wäre. Es ginge hier um eine bestimmte Anti-Hegemonialpolitik, aber keinesfalls um eine antiamerikanische Politik.

Nawal al Saadawi, berühmte ägyptische Schriftstellerin, Ärztin und Frauenrechtlerin, ergriff als nächste das Wort. Sie richtete an die Zuhörer ein eindringliches Plädoyer, sich, wie sie, verantwortlich zu fühlen. Man könne Denken und Agieren nicht voneinander trennen, sondern man müsste Verantwortung fühlen, für das, was auf der Welt vorgehe. Man solle nicht nur ein guter Mediziner, Schriftsteller oder Arbeiter sein, sondern sich einbringen in die Gesellschaft, denn jeder trage eine individuelle Verantwortung für die Geschehen.

Samir Amin, Ägypter und Direktor des Dritten Welt Forums in Dakar, Senegal, analysiert seit vielen Jahren
das derzeitigen Welt System, das er als Plündersystem, nicht als Marktsystem bezeichnete. Dessen Ziel wäre es, das größte Chaos zu kreieren unter kleinstmöglicher Demokratie in der Dritten Welt. Der Krieg im Irak hätte gerade erst begonnen. Die Europäer dächten, sie würden letztendlich mit den USA teilen können, aber das wäre ein Irrtum. Auch mit der Nato oder der UN im Irak würde die jetzige Politik dort fortgesetzt.

Sabah al Muktar, Präsident der arabischen Rechtsanwaltsvereinigung in Großbritannien, konstatierte, dass die Menschen im Irak 1925, also zu der Zeit des britischen Mandats, sehr viel mehr Rechte gehabt hätten, als jetzt unter amerikanischer Besatzung. Die USA würden denken, sie könnten die Karte des Nahen Ostens ganz neu gestalten. Es wäre keine Tatsachenpolitik mehr, sondern eine persönliche amerikanische Politik. Wenn er die Sendungen in den arabischen TV Sendern betrachte, könnte er verstehen, was die Menschen riefen und sie riefen immer wieder in ihren Märschen gegen die amerikanischen Besatzer: "Wir sind keine Schiiten, wir sind keine Sunniten, wir sind Iraker!"

Es folgte ein langes, videoübertragenes Statement des berühmten französischen Philosophen Jacques Derrida. Er hob besonders das symbolische Gewicht und den exemplarischen Charakter des Tribunals hervor.

Grußworte sprachen außerdem der Initiator des Tribunals Lieven de Cauter, Ayse Berktay die Vertreterin des türkischen Tribunals, der Theaterdirektor Guido Minne und ein belgischer Künstler.

Donnerstag, den 15.4.2004, fing mit Verspätung, nach 9 Uhr, das eigentliche Hearing an. Da das BRussels Tribunal in der Tradition des Russels Tribunal zum Vietnam Krieg stand, war es auch in der Form eines Tribunals gestaltet mit einer Untersuchungskommission (Vorsitz Francois Houtart; Pierre Klein, Rechtsprofessor, Universität Brüssel; Samir Amin, Dritte Welt Form, Dakar; Denis Halliday, ehemaliger UN-Koordinator Irak; Sabah al Mukhtar, Präsident arabische Rechtsanwaltvereinigung, Großbritannien; Ludo Abicht, belgischer Philosoph; Nawal al Saadawi, Schriftstellerin), Anklägern (Karen Parker, US-Menschenrechtsanwältin; Jean Bricmont, Physikprofessor Universität Leuwen, Belgien), Zeugen (s.u.), Verteidigern (Jim Lobe, Korrespondent für Inter Press Sevice; Tom Barry, Direktor Interhemispherie Resource Center, Neu Mexiko) und schriftlich eingereichten Zeugenaussagen. Nach jeder Aussage wurden die Zeugen von den Anklägern und Verteidigern befragt. Der Vorsitzende hob noch einmal hervor, dass das Tribunal ein "Ideen-Tribunal" (Meinungs-Tribunal) wäre. Seine Hauptaufgabe wäre es, die Menschen aufzuwecken für öffentliche Belange. Das Tribunal diente besonders dazu, den logischen Hintergrund einer bestimmten Politik zu analysieren. Er wies auf das von Lelio Bassi in Rom gegründete "Permanente Volkstribunal" hin.

Jean Bricmont, Professor für theoretische Physik an der Universität Leuwen, Belgien, Spezialist für US Außenpolitik, Vize Vorsitzender des Gerichtskomitees, hob die Scheinheiligkeit der angeblichen amerikanischen Wertevorstellungen für den Irakkrieg hervor. Nur der stellvertretende US Außenminister Paul Wolfowitz wäre dann letztendlich nach dem Krieg mit der Wahrheit herausgerückt: Die Massenvernichtungswaffen wären aus "bürokratischen Überlegungen" zum Anlass des Krieges erklärt worden, da diese Begründung den wenigsten Widerstand erwarten hätte lassen. Bricmont führte aus, dass die USA das Ziel hätten, die Rohstoffressourcen und die Wirtschaft der Welt zu kontrollieren nach ihrem Belieben. Eine ungeheure Raffgier und Arroganz des Westens, der sein Interesse durchsetzen wolle, rieben sich mit den angeblichen Idealen.

Karen Parker, US Menschenrechtsanwältin (Anklägerin) hob hervor, wie die USA die Haager Landrechtsordnung und die Genfer Konvention ausgehebelt hätten, also die Prinzipien des Rechts und eines humanitären Gewissens. Vor allem würden die USA sich zwar immer auf diese humanitären Prinzipien beziehen, sie aber nicht rechtmäßig anwenden. Die Genfer Konvention würde z.B. in Artikel 1 klar aussagen, dass alle Artikel der Konvention zusammen anzuwenden wären; Die Verletzer der Konvention, die USA, würden sich aber je nach Gusto, nur einige Artikel der Konvention nach Belieben heraussuchen, die sie anwenden wollten.

Tom Barry, Politik-Direktor des Interhemispherie Resource Centers in Neu Mexiko (Verteidiger), stieg als erster in den Bereich: Untersuchung zur Politik des PNAC, also des neokonservativen, einflussreichen Denkclubs (Think-Tank) "Projekt eines Neuen Amerikanischen Jahrhunderts" (Project of the New American Century) ein. Er fragte, ob die politischen Dokumente des PNAC eine Blaupause für die Politik der Bush Administration liefern würden?

William Pitt Rivers, US-Autor, Politikspezialist und Professor für englische Literatur, brachte "zur richtigen Einführung", wie er sagte, 2 kleine schaurige Geschenk-Pentagons mit, die er der Kommission überreichte. Er führte aus, dass die Neokonservativen meinten, dass das internationalen Rechts nicht überall anwendbar wäre. Ihre Kritik besagte, daß das internationale Recht nicht immer moralisch wäre. Für sie wäre der Holocaust die historische Referenz. Die Frage wäre nun, wie sollten sich die USA politisch und moralisch engagieren unter neokonservativem Gesichtspunkt, indem sie völIige Isolation vermieden. Ihre Politik wäre im übrigen kein Geheimnis, wie manche unterstellten, denn sie würden alles publizieren, auch die kleinste Kleinigkeit. Deshalb wäre es umso bedeutsamer, dass sie seit Januar 2003 überhaupt nichts mehr publiziert hätten.

Geoffrey Geuens, Universität Lüttich, Fakultät für Kommunikation und Information, Bücher zur engen Verstrickung zwischen Kapital, Medien und Staat, sprach von einer Neo-Kolonisation der Welt. Geuens hielt einen aufschluß- und faktenreichen Vortrag über die Mitglieder des PNAC, die gleichzeitig in den verschiedensten und wichtigsten Gremien des Staates, der Industrie und der Medien säßen. Zum Beispiel war einer der Direktoren des PNAC, Bruce Jackson, Vize-Präsident des weltweit größten Rüstungskonzern Lockheed Martin. Jackson war dann maßgeblich am "US-Komitee für die NATO" beteiligt, welches die Osterweiterung propagierte, was der US-Rüstungsindustrie natürlich fette Aufträge einbrachte. Jackson gründete dann ebenfalls vor dem Irakkrieg das "Komitee für die Befreiung Iraks".

Samir Amin wies noch einmal auf die US-Politik "der Märkte und der Kanonen" hin. Das PNAC, das 1997 gegründet wurde, wäre deshalb so effizient und erfolgreich, weil es sich in seiner Ideologie auf die Moral und den Holocaust beziehen würde.

Es folgte eine kurze Mittagspause von einer Stunde.

Um 14,30 Uhr folgte die Anhörung des Zeugen John Saxe Fernandez, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Mexico. Er sprach über die neokonservative Ideologie und die Bush Administration. Die neokonservative Politik durch Krieg - wie sie z.B. Robert D. Kaplan, Korrespondent bei "The Atlantic" propagiere, siehe sein Artikel "supremacy by stealth" - beruhe darauf, dass die USA ihre militärischen Basen zur Ressourcenabsicherung errichteten (im Irak werden eine US-Botschaft mit über 3000 Angestellten und riesige Militärstützpunkte ab der "Machtübergabe an die Irakis" eingerichtet). Saxe Fernandez sprach die "Prediger-Funktion" im christlichen US-Fundamentalismus an. Er zeigte außerdem die Politik der Konservativen im 18. und 19. Jahrhundert auf, die darauf gegründet war, dass die Konservativen jeden sozialen Aufruhr unterdrückt hätten und es ihnen hauptsächlich um den Machterhalt gegangen wäre. Erst mit der Militarisierung der Politik unter Reagan, der "Neuen Rechten", hätte sich die US-Politik entscheidend geändert. Es wäre eine Politik des "Jeder kann mein Feind sein zu jeder Zeit". Die Rechtsordnung, die seit 1648, also dem Westfälischen Frieden, gegolten hätte, wäre nun umgestürzt. Die Maxime wäre nun "Wir tun, was wir wollen". Als Karen Parker (Anklägerin) die Predigerfunktion Bushs ansprach und Fernandez fragte, ob Bush seine ?Predigten' ernst meine, antwortete Fernandez "Der Beste ist der, der seine Lügen glaubt". Bush würde von einer fundamentalistischen Ideenmission ausgehen. Zwar wäre im konservativen Gedankengut immer Gott gewesen, aber nie so zentral wie jetzt. Samir Amin fügte an, dass das dominante Kapital, also das transnationale Kapital, eben das US-Kapital wäre. Dieses Kapital befürworte eine "Pax Americana". Da das US-Kapital aber über alle anderen übermächtig sein wolle, wäre nicht "Pax", sondern Krieg das amerikanische Credo geworden. Zivilisation wäre aber das Gegenteil dieser amerikanischen Kriegspolitik, denn Zivilisation bedeute, zu verhandeln und Kompromisse zu schließen.

Sarah Flounders, Ko-Direktorin des Internationalen Aktionscenters in New York (Leitung Ramsey Clark, ehemaliger US-Justizminister) wies darauf hin, dass die Publikationen der Neokonservativen nützlich wären, denn sie hätten ihre Pläne bezüglich des Angriffskriegs gegen den Irak vorher publiziert. Das wäre nun von großer Bedeutung, denn dadurch könnte im rechtlichen Sinn "vorsätzliches Handeln" bewiesen werden. Das BRussels Tribunal sollte "werten und auslegen", aber zusätzlich weitere Beweise finden. Das Handeln von Kapitalisten würde sich eigentlich nicht ändern. Ihnen ginge es hauptsächlich darum, noch reicher zu werden. Mit der neokonservativen Politik würde nur eine ganz kleine gesellschaftliche Gruppe in den USA vom Krieg profitieren. Ideologie und Selbstinteresse würden sich bei den Neokonservativen mischen. Das Schlimme wäre, daß "die USA mit dieser Ideologie immer im Vorteil wären, selbst wenn ihre Freunde kollabieren würden". Das PNAC hätte es verstanden, die US imperiale globale Macht zu stärken. Die materiellen Interessen der Neokonservativen würden von den Think-Tanks ideologisch unterfüttert. Man dürfte nicht vergessen, dass Leute wie Samuel Huntington oder Francis Fukuyama keine unabhängigen Intellektuellen wären, sondern sie würden bezahlt für die gewünschte Ausrichtung ihrer Publikationen. Das BRussels Tribunal hätte nun ein großes moralisches Gewicht, da es versuche, die Wahrheit ans Licht zu bringen und sie auszusprechen. Es wurde auch auf die Bedeutung Israels als Basisland für die USA im Nahen Ostens hingewiesen und zwar wegen seiner Lage und dem Öl der Region. Die USA würden jeden Tag für Israel 15 Millionen Dollar ausgeben. Seine Funktion wäre es die Region zu destabilisieren. Der 1991er Krieg und das Embargo gegen den Irak wäre die Gelegenheit gewesen, ein konkurrierendes Land, das sich selbst sehr gut bis zu einem industriellen Schwellenland entwickelt hätte, vollständig auszuschalten und jetzt letztendlich zu kolonialisieren. Flounders wies auch darauf hin, dass die USA in allen Bereichen im Außenhandel im Defizit wären einschließlich technologischer Produkte. Nur durch die immensen Waffenverkäufe - die USA stehen an erster Stelle als Waffenexporteur - würden sie das wieder wettmachen.

Amy Bartholomew, Professorin an der Rechtsfakultät der Universität Carleton, Ottawa, Kanada, referierte über "Menschenrechte als Schwert des Empires". Die amerikanischen Neokonservativen im PNAC hätten die Theorie entwickelt, dass die USA - dank ihrer Geschichte, in der die Vereinigten Staaten angeblich immer für das Richtige eingetreten wären und am besten von allen Völkern gehandelt hätten, also die amerikanische Außergewöhnlichkeit wird betont - eine globale Führerschaft übernehmen sollten, denn sie würden das moralische und gütige Empire darstellen. Selbst Michael Ignatieff, "liberaler Falke" der Harvarduniversität, würde solche Ideen vertreten, indem er fordere, dass die USA immer unter dem Gesichtspunkt des " am wenigsten Schädlichen" (lesser evil) handeln müssten. Mit der humanitären Intervention hätte man so eine echte und effiziente Methode geschaffen, überall dort kriegerisch einzugreifen, wo man wollte, dank der eigenen moralischen Überlegenheit. Die Frage von Denis Halliday ( ehemaliger UN-Koordinator der humanitären Hilfe für den Irak und Mitglied der Kommission) kam prompt: "Ist Kofi Annan ein liberaler Falke"? Amy Bartholomew bejahte.

Armand Clesse, Direktor des Institutes für europäische und internationale Studien in Luxemburg, hob den Aspekt hervor, dass die USA sich unter den Neokonservativen geradezu machiavellische Gedanken angeeignet hätten. Die USA wollten gefürchtet werden, sie wollten ein Klima der Furcht, nicht des Vertrauens schaffen. Eine Atmosphäre des Mißtrauens würde den USA helfen die Angelegenheiten nach ihrem Gusto zu regeln.

Der Donnerstag ging um ca. 19.30 Uhr zu Ende. Auch Freitag, den 16.4.2004 tagte das Tribunal fast ununterbrochen von 9 Uhr morgens bis 19.30 Uhr abends (mit einer kurzen Mittagspause).
Von dem bekannten US-Soziologen Immanuel Wallerstein wurde ein geschriebener Text per Video übertragen. Seine Hauptpunkte waren, dass in den USA eine kleine Gruppe von Leuten die Macht übernommen habe. Diese würden diesselben Richtlinien befolgen, die schon 1992 in dem Paul-Wolfowitz-Papier "Defense Guidance Policy" zum Ausdruck gekommen wären und 2000 in der PNAC-Veröffentlichung "Rebuilding America's Defenses". Diese Richtlinien wären dann nach dem 11. September verschärft worden in der "Nationalen Sicherheitsstrategie" von 2002, die den Präventivkrieg offen propagiere und internationales Recht völlig neu definiere. Es wäre das Ziel dieser Kriegspolitik, dank der unvergleichlichen Militärmacht der Vereinigten Staaten, irreversible Situationen und Fakten in anderen Ländern zu schaffen, zum Nutzen der USA.

Michael Parenti, international berühmter US-Autor und politischer Analyst, beschrieb in einem temperamentvollen Vortrag die US Außenpolitik als blutige Interventions- und Unterdrückungspolitik. Es bestehe ein enormer Graben zwischen dem, was das amerikanische Volk glaube, was ihre Regierung täte und der Realität. Stellvertreter-Söldner-Kriege fänden überall unter amerikanischer Führung statt. 50 von insgesamt 53 afrikanischen Staaten bekämen amerikanische Militärhilfe. 18% Öl importierten die USA aus Afrika, 25% aus dem Nahen Osten. Die US Politik wäre bemerkenswert erfolgreich. Es wäre schwierig diese Politik zu erforschen, denn Motive und Intentionen könnte man nicht empirisch erforschen, aber Muster und Übereinstimmungen. Er wäre zu dem Schluß gekommen, dass diejenigen, die unabhängig sein möchten von den USA, dämonisiert würden. In Bezug auf den Irak hätte es drei Gründe gegeben, um den Irak 2003 zu überfallen:
1.) Der Irak wäre ein Land gewesen, dass sich selbst definiert hätte, eine selbst nutzende Ökonomie gehabt hätte (Öl) und eine nationalistische Politik betrieben hätte.
2.) Zu verhindern, dass der Irak eine Regionalmacht geworden wäre
3.) Die riesigen Ölressourcen
Die USA wollten eine Eigenentwicklung des Landes Irak verhindern. Die mörderischen Machtmittel der USA dazu wären die Werkzeuge Moral und Tugend gewesen. Das PNAC würde keinen Einfluß ausüben, sondern PNAC selbst wäre nun die Bush Administration, denn ein großer Teil der PNAC Leute säße heute in der US-Regierung. Es bestände eine enge Zusammenarbeit mit Israel; u.a. würden zwei große israelische Firmen die US Armee im Irak beliefern.
Am Ende des Berichtes fragte Denis Halliday, was Parenti zu dem Angebot Osama bin Ladens meinte, dessen Videobotschaft gerade von TV Stationen ausgestrahlt worden war (Bin Laden hatte angeboten die Anschläge einzustellen und einen Dialog zu beginnen, über den Rückzug aller westlichen Besatzungssoldaten aus der arabischen Welt). Parenti antwortete, dass er sich anhören würde, was sie sagten. Im Gegensatz zu dem, was bei uns immer behauptet würde, sagten die Terroristen nichts über unseren Lebensstil, den sie aber laut westlicher Medien beneiden würden.

Michel Collon, belgischer Journalist und Autor, der sich besonders mit Kriegsstrategie beschäftigt, war der Meinung, dass die USA eine sehr rationale Politik betrieben. Man solle sich erinnern, dass Bush den Kampf gegen den Terrorismus als einen Krieg beschrieben habe, der 50 Jahre dauern könne. Zudem wären von ihm 60 Länder als terroristisch eingestuft worden. Da die Interessen der USA im Konflikt mit anderen Interessen ständen, würde die Bush Doktrin der Präventivkriege nun das Mittel liefern, diese Interessen durchzusetzen. Die Frage wäre eben, warum die USA diese Kriege wirklich führten und wie sie diese Kriege führten, um an ihr Ziel zu kommen. Er beschrieb die "grundlegenden extremen Gesetze des Systems", um "noch reicher und mächtiger zu werden". Die USA würden die Monopolisierung der Industrien zielstrebig vorantreiben, etwa im Öl-, Auto- oder Flugzeugbereich. Aber es gäbe jetzt schon eine Überkapazität an Gütern, z.B. an Autos: 75 Millionen Autos würden produziert, aber nur 55 Millionen Autos verkauft. Collon drückte es bildhaft aus: die Leute, die den Kuchen produzierten, könnten den Kuchen nicht essen. Die Verteilung des Kuchens wäre das Thema. Die USA hätten jedes Jahr 450 Milliarden Dollar Defizit. Deshalb müssten sie versuchen, Mitbewerber und Rivalen auszuschalten und Schlüsselzonen und Schlüsselrohstoffe zu kontrollieren. Im Kosovo hätten die USA eine riesige Militärbasis nach dem Krieg errichtet mit Flugzeugen und Bombern, gemietet für 99 Jahre. Collon verdeutlichte anhand von Karten den Lauf der existierenden und geplanten Ölpipelines weltweit. Im Jugoslawienkrieg hätte General Jackson bemerkt: "Wir werden die Energiekorridore in Jugoslawien garantieren." Collon führte weiter aus, dass die Politik des PNAC in Richtung China gehe, denn China hätte weltweit und mit Abstand das größte Wirtschaftswachstum. Das Ziel wäre es China zu kontrollieren und es einzukreisen, ebenso wie Rußland. Außerdem müßten die Rivalen Europa und Japan ausgeschaltet werden. Für Collon besteht kein Zweifel, dass die Denkfabriken (Think-Tanks) damit beauftragt sind eine Strategie zu entwickeln, um die Politik der Industrie zu verkaufen. Im Gegensatz zu dem, was immer behauptet würde, brauche man, um eine Militärbasis zu errichten, keine "Ruhe", man brauche das Gegenteil, nämlich Chaos. Vor allem aber brauche man einen abhängigen Staat (client state). Er nannte das Beispiel Israel.

Hans von Sponeck, ehemaliger humanitärer UN-Koordinator für den Irak und Nachfolger von Denis Halliday (beide traten zurück aus Protest wegen des menschenrechtsverletzenden Irakembargos), führte aus, dass der vorsätzliche Krieg 2003 gegen den Irak völkerrechtswidrig war. Eines der einflußreichsten PNAC Mitglieder, Richard Perle, hätte dazu in London konstatiert: "Ich denke, dass das internationale Gesetz den amerikanischen Interessen im Wege steht". Das PNAC wäre der Meinungsmacher hinter der US Maschinerie. Der Irak wäre für die USA eine "Experimentierkammer" gewesen. Das Embargo, das anfangs zu Recht laut UN-Charter hat verhängt werden können, wegen Iraks Einmarsch in Kuwait, wäre mit der Zeit illegal geworden, weil es den unnötigen Tod von Hunderttausenden von Zivilisten verursachte. Gesetzlichkeit (Legalität) wäre nichts Dauerhaftes, da Bedingungen sich änderten. Die Menschen im Irak wären für die USA nicht wichtig gewesen, sie waren für sie entbehrlich gewesen. Eine Milliarde Dollar pro Jahr wäre dem humanitären UN-Programm für das Überleben aller Irakis anfangs nur zugestanden worden, aber die USA würden 1 Milliarde Dollar für ihr Militär im Monat im Irak ausgeben. Max von der Stolen und der spätere zypriotische Beauftragte der UN für die Menschenrechtssituation im Irak, hätten nur über Menschenrechtverletzungen seitens des Irak berichtet, aber nie die Illegalität der Sanktionen auch nur erwähnt. Da von Sponeck seitens der UN auch Beauftragter für die Sicherheit im Irak war, hätte er eines Tages einen Bericht über die illegalen Luftangriffe ohne UN-Mandat der USA und Großbritanniens, die jahrelang viele Zivilisten töteten, an den Sicherheitsrat geschrieben. Das hätte ihm viel Ärger eingebracht. Durch das Embargo wäre kein "cash" (Zahlungsmittel) im Irak vorhanden gewesen, aber welche Nation könnte ohne Zahlungsmittel regiert werden? Wie sollten die Angestellten bezahlt werden? Nur 28 Milliarden Dollar wären dem humanitären UN-Programm im Irak aus dem Verkauf irakischen Öls insgesamt in den Jahren 1996-2003 für alle Bedürfnisse der Iraker zugeflossen. Das bedeutete z.B. - abgesehen von den wenigen Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung - dass ein halber Cent pro Tag für den Erziehungssektor vorgesehen war. Die UNO, die gegründet worden war, um Menschenrechte zu schützen, blockierte stetig ihre eigenen UN-Koordinatoren an der Berichterstattung über die Situation im Irak, d.h. sie wurde entgegen ihrer eigentlichen Aufgaben benutzt. Praktisch jede Woche wurde vom Sicherheitsrat ein fantastischer Versuch gestartet, die öffentliche Meinung abzulenken. Der Sicherheitsrat war verantwortlich für die Situation im Irak, aber es gab nur zwei Initiatoren, die alles bestimmten (USA, UK). Niemals konnten die Un-Koordinatoren über die Situation im Irak im Sicherheitsrat berichten, sie wurden davon abgehalten. Die UNO billigte die US-Politik. Das Büro für die humanitäre Situation im Irak war das größte Büro der UNO gewesen und hätte von Rechts wegen direkt dem UN-Generalsekretär unterstellt sein müssen. Es wäre aber die Entscheidung des UN-Generalsekretärs gewesen, das Irak-Büro beiseite zu stellen. Deshalb wäre von Sponeck dem belgischen Juristen Marc Bossuyt, der für die Menschenrechtskommission der UNO ein Gutachten über Irak angefertigt hätte, sehr dankbar gewesen.. Dieser hätte den Mut gehabt, die Dinge beim Namen zu nennen: Bossuyt sprach bezüglich des Embargos von Völkermord.
Nach dem Krieg von 2003 wäre die Situation der Iraker noch sehr viel schlechter geworden: das Gesundheitswesen, die Elektrizitätsversorgung, die Wasser- bzw. Sanitärversorgung wären katastrophal. Von Sponeck bezog sich auf den belgischen Arzt Dr. van Moortgart, der vor kurzem im Irak wieder tätig war: Die Iraker befänden sich in dem Zustand eines Schocks. Von Sponeck meinte, dass das Tribunal ein rechtliches Gewicht hätte unter der Haager Konvention, mit dem Ziel die internationale Öffentlichkeit aufzurütteln und an das öffentliche Gewissen zu appellieren. Etwas zu beanstanden, zu protestieren wäre in sich selbst eine Botschaft.

Abdullah al Bayati von der irakischen Zeitung "Al Rifaq" aus Bagdad berichtete in Arabisch über "Teile und herrsche, Irak in der Nah-Ost Politik der USA." Da ich keinen Kopfhörer benutzte, verstand ich nur einen Bruchteil des arabischen Vortrags, aber soviel, dass er sagte, dass im Irak ca. 1000 Leute jede Woche getötet würden.

Haifa Zangana, irakische Schriftstellerin, zur Hälfte Araberin, zur anderen Hälfte Kurdin, berichtete über die Schrecken der Besatzung. Sie war vor kurzem in Bagdad für drei Wochen. Sie hätte sich mit sehr vielen Irakern aller unterschiedlichen Schichten unterhalten. Da es zu ihrer Überraschung keine Grenzkontrollen gegeben hätte, könnte jeder in den Irak fahren, der wolle, auch Terroristen. Die Straßen wären besonders für Frauen völlig unsicher. Deshalb säße man meistens zu Hause. Sie hätte aber einige Tage in einer Apotheke in der Kifar Straße (einer Hauptstraße Bagdads) ausgeholfen. Jeder, der arbeiten wolle, müsse eine Bescheinigung oder einen Brief irgendeiner Partei haben. Arbeit wäre im übrigen nahezu nicht zu finden. Kurdische Milizen (Peshmergas), Badr Milizen des SCIRI (Schiiten der Hakimgruppe), die Milizen Achmad Challabis (von der CIA in Ungarn ausgebildet) u.a., sowie natürlich die amerikanische Armee, machten Bagdad unsicher. Pressefreiheit gäbe es nicht. Jeder, der etwas gegen die amerikanische Besatzung schreibe, würde aus seinem Job entfernt. Letztlich wäre das einer Journalistin von der Zeitung "Al Azzam" passiert. General Kimmit hätte persönlich die Anweisung gegeben.

Ghazwan al Muktar, Ingenieur aus Bagdad, verglich die Situation in einigen Bereichen im Irak nach dem Krieg von 1991 und dem von 2003. 1991 wären die Elektrizitätswerke zu 95% zerbombt worden; nach 6 Monaten waren 65% der Elektrizitätswerke wieder repariert. 2002 wäre sogar ein neues französisches Telefonsystem installiert worden. Die USA hätten bis heute nichts repariert. Angeblich wollten sie das Telefonsystem auswechseln. Die Abwässer fließen immer noch in die Krankenhäuser. Dafür würden die Amerikaner ihre Militärbasen bauen und zwar mit ausländischen Arbeitern, mit Filippinos. Das Benzin hätte vor dem Krieg 5 Cent eine Gallone gekostet, heute koste die Gallone 2,64 Dollar. Die Besatzung wäre die Ausdehnung der Sanktionen. Die Amerikaner hätten keinen Plan um wieder aufzubauen. Das ganze vorhandene Geld ginge an die USA, sie würden die Iraker daran hindern selbst aufzubauen. Die Amerikaner hätten ein Vakuum kreiert und sich dann selbst in die Mitte gesetzt. Sie hätten den ganzen Staat auseinander genommen und alle Sicherheitsorgane aufgelöst und nichts Neues geschaffen. Einer der Verteidiger, Jim Lobe, fragte, ob das Chaos vorsätzlich herbeigeführt worden sei oder ob es die Unfähigkeit der USA wäre, Ordnung zu schaffen? Der Zeuge beantwortete die Frage auch nach mehrmaligem Nachhaken nicht. Am Ende erklärte er, dass er der Frage besser ausweichen wolle.

Der erkrankte Ramsey Clark, Initiator des Internationalen Aktionszentrum in New York und ehemaliger US-Justizminister, schickte eine Videobotschaft, in der er den "Krieg seiner Wahl", also Bushs Krieg, und das vorhergehende Irak-Embargo verurteilte.

Karen Parker, Anklägerin, fasste dann das Gehörte der zwei vorangegangenen Tage zusammen. Die Hauptfolgerungen aus den Tribunalanhörungen lauteten, dass klare Hinweise erbracht worden wären, dass die USA eine globale und rücksichtslose Strategie verfolgten - vorangebracht durch den Think-Tank PNAC - um zu einer weltweiten US-Vorherrschaft zu kommen und dass die Politik gegen den Irak am Anfang dieser Entwicklung stehe. Parker war der Meinung, dass für die "Pax Americana" wohl mehr der Ausdruck "Lex Americana" angebracht wäre. Schon das Motto des Irak-Krieges "Schockieren und Fürchten" (Shock and Awe) hätte bezweckt, Terror zu erzeugen. Sie konstatierte, dass die meisten Amerikaner leider ihre Zivilcourage verloren hätten, sie ließen alles mit sich machen: Amerika wäre die Heimstätte der Unterwürfigen geworden, da so viele solch eine Politik tolerierten oder unterstützten. Jean Bricmont, ebenfalls Ankläger, hob noch einmal hervor, dass aus den Zeugenaussagen klar geworden wäre, dass im PNAC Leute versammelt wären, die größere Verbrechen befürworteten und verteidigten (völkerrechtwidrige Angriffskriege und Besatzung fremder Länder, sowie das 1990-2003 menschenrechtsverletzendes Irakembargo) und ihre Politik durch eine mystifizierende Darstellung der eigenen Geschichte rechtfertigten. Die Verteidiger Tom Barry und Jim Lobe machten dann ihre Statements. Am Ende definierte Francois Houtart, der Vorsitzende der Untersuchungskommission noch einmal das Ziel des Tribunals, nämlich versuchen aufzuklären über eine bestimmte, rechtswidrige Politik bezüglich Iraks und damit dieser Politik die Legitimation zu entziehen.

Resümee: Was hervorgehoben werden soll - und das war m.E. das Wichtigste an dem BRussels Tribunal - ist, dass sich der ganze "Prozeß" immer wieder um die Frage drehte, ob das Chaos im Irak durch die vergangene und heutige US-Politik "vorsätzlich oder nicht" (intended or not) herbeigeführt wurde oder ein Zufallsprodukt verschiedener Gegebenheiten war. Deshalb war die Einbeziehung und Analyse des PNAC als Drahtzieher in der US-Politik beim BRussels Tribunal von entscheidender Bedeutung.

An der Abschlussveranstaltung Samstag, den 17.4.2004 um 17 Uhr konnte ich nicht mehr teilnehmen, da ich die lange Rückfahrt nach Bayern mit dem Auto antreten musste. Die genauen, im Bericht aber schon angelegten Schlussfolgerungen des BRussels Tribunal sind in Englisch auf der Internetseite des Tribunals nachzulesen:
http://www.brusselstribunal.org

Sylvia Weiss <http://hometown.aol.de/irakseite>