Wer schützt die Ärzte, Akademiker und Intellektuellen im Irak vor summarischen Exekutionen?

Von Klaus von Raussendorff, 30.4.2006

Am 28. Januar diesen Jahres wurde Professor Abdul Razaq al-Na’as von der Universität Bagdad ermordet. Zwei Autos blockierten seinen Eingang. Bewaffnete feuerten auf ihn. "Dr. al-Na'as war ein bekanntes Gesicht in den Fernsehsendern al-Jazeera and al-Arabiya. Er hatte oft die weitere Anwesenheit der US-geführten Truppen im Irak verurteilt und die aus ethnischen Gruppen zusammengesetzte Interim-Regierung und ihre Milizen kritisiert. Sein Fall erinnert an die Ermordung des Hochschullehrers Dr Abdullateef al-Mayah. Dieser wurde als prominenter Menschenrechtsaktivist ermordet, nur 12 Stunden, nachdem er auf al-Jazeera die Korruption der von den USA ernannten Regierung kritisiert hatte." So die im Exil lebende irakische Schrifstellerin Haifa Zangana ("Death of a professor - There is now a systematic campaign to assassinate Iraqis who speak out against the occupation" in "The Guardian" v. 28. Feb. 06)

Die Washington Post berichtete im Januar über den Fall eines führenden irakischen Kardiologen, Dr. Omar Kubasi, jetzt im Exil in Amman. "Kubasi verließ Bagdad, nachdem er und neun weitere Ärzte Briefe erhalten hatten, die in einer kindlichen Schrift geschrieben waren und besagten, dass sie getötet würden, falls sie ihre Arbeit in ihrem Heimatland Irak nicht einstellen würden. Er und seine Kollegen waren bereits vorher Ziel von Drohungen gewesen, aber die letzte enthielt eine ominöse Dringlichkeit."

Die Regierung der USA erwäge, so hatte "Newsweek" am 8. Januar 2005 gemeldet, eine "Salvador-Option" zur Bekämpfung des Aufstands im Irak (http://www.msnbc.msn.com/id/6802629/site/newsweek/ "Salvador-Option" bedeutet Todesschwadronen. In den 80er Jahren hatte die US-Armee unter den Präsidenten Carter und Reagan das salvadorianische Militär zur Bekämpfung der FMLN Guerillas ausgebildet und materiell unterstützt. Anscheinend gab es spätestens Anfang vorigen Jahres bereits ein Programm der Besatzer zur systematischen Liquidierung von Angehörigen der intellektuellen Elite des Irak.

Die "Salvador-Option" wird Wirklichkeit

"Bis heute sind 220 medizinische Fachkräfte ermordet worden. Das BRussels-Tribunal und die Spanische Kampagne gegen die Besatzung und für die Souveränität des Irak (CEOSI) haben mit Hilfe von Irakern eine Liste von über 190 ermordeten irakischen Akademikern zusammengestellt." So das Abschlusskommuniqué eines internationalen Seminars mit Teilnehmern aus acht Ländern, das von CEOSI am 22./23. April 2004 in Madrid organisiert wurde. Andere Zahlenangaben liegen weit höher. Und in den Zahlen nicht enthalten sind die Intellektuellen, die Anschläge überlebt haben. Schätzungsweise 3000 Akademiker, Ärzte und Intellektuelle sind seit der Besatzung unter dem Druck ständiger Bedrohung, physischer Gewalt, Entführungen und Aktionen von Todesschwadronen ins Exil gegangen.

"Die ‚Salvador-Option’ wird Wirklichkeit" hatte Max Fuller, Autor und Aktivist der Kolumbien-Solidaritätskampagne in Großbritannien, bereits letzten Sommer einen Artikel überschrieben. (http://globalresearch.ca/articles/FUL506A.html v. 2. Juni 2005) Darin wies er darauf hin, dass die Todesschwadronen des irakische Innenministeriums von Agenten der CIA ausgebildet wurden, die ihre in Vietnam und El Salvador angewandten Fähigkeiten einbrachten. Fuller sieht im Irak dasselbe Muster wie in anderen aus dem Hintergrund gesteuerten US-amerikanischen Operationen zur Aufstandsbekämpfung. "Im Irak erfolgt der Krieg in zwei Phasen. Die erste Phase ist abgeschlossen: die Zerstörung des bestehenden Staates, der nicht den Interessen des britischen und amerikanischen Kapitals entsprach. Die zweite Phase besteht im Aufbau eines neuen Staates, der an diese Interessen gebunden ist, und in der Zerschlagung jedes abweichenden Sektors der Gesellschaft."

Das Land "schwach und kontrollierbar" machen

Haifa Zangana meint in dem zitierten Guardian-Artikel: "Wie viele Iraker "glaube ich, dass diese Morde politisch motiviert sind und im Zusammenhang damit stehen, dass die Besatzungstruppen keine nennenswerte gesellschaftliche Unterstützung im Lande finden. Um die Ziele der Besatzung zu erreichen, müssen unabhängige Geister eliminiert werden. Wir meinen, dass wir Zeugen eines wohlüberlegten Versuchs sind, das intellektuelle Leben im Irak zu zerstören." Auch Eman A. Khamas, eine Journalistin, die mit zwei anderen Intellektuellen aus Bagdad an dem erwähnten Seminar in Madrid teilnahm, weist auf die Milizen hin. Doch für die Situation, in der die irakische intellektuelle Elite extrem verwundbar geworden ist, trügen vor allem die US-amerikanischen Besatzungstruppen die Verantwortung. "Gemäß internationalen Abkommen sind diese letztlich für unsere Sicherheit verantwortlich," so die Journalistin und frühere Professorin der Universität Bagdad, die weiter in ihrem heimatlichen Bagdad lebt. Sie ist davon überzeugt, dass Intellektuelle liquidiert werden, um das Land "schwach und kontrollierbar" zu machen. (El Pais v. 28. Apr. 06 ; http://www.elpais.es/articulo/internacional/Decenas/profesores/universitarios/han/sido/asesinados/durante/ocupacion/elpporint/20060428elpepiint_5/Tes/)

"Die Ermordung irakischer Akademiker und medizinischer Fachkräfte ist Teil eines bewussten Versuchs, den Irak an der Wiedererlangung seines rechtmäßigen, unabhängigen und souveränen Status zu hindern." So die Schlussfolgerung der an dem Madrider Seminar teilnehmenden Organisationen, darunter die Iraq-Tribunal-Initiative, Deutschland (http://iraktribunal.de). Schon am 14. Juli 2004 hatte der lang gediente Korrespondent Robert Fisk aus Irak berichtet: "Die Mitarbeiter der Universität vermuten, dass es eine Kampagne gibt, den Irak seiner Akademiker zu berauben, um die Zerstörung der kulturellen Identität des Irak zu vollenden, die mit dem Einmarsch der US-Armee in Bagdad begann." Laut Angaben der UN-Universität wurden 84 Prozent der irakischen Einrichtungen der Hochschulbildung niedergebrannt, geplündert oder zerstört. Das irakische Bildungssystem war eines der besten in der Region; einer der bedeutendsten Aktivposten des Landes war seine gut ausgebildete Bevölkerung. (Siehe die ausführliche Dokumentation unter: www.brusselstribunal.org/pdf/AcademicsDossier.pdf )

Wer sind die Mordgehilfen? 

Niemand ist im Irak bisher strafrechtlich verfolgt, geschweige denn verhaftet worden. Niemand hat für diese Morde die Verantwortung übernommen. Das Besatzungsrecht bestimme, so Haifa Zangana mit bitterer Ironie, dass alle ausländischen Soldaten, Diplomaten oder Unternehmen, die in die Ermordung von irakischen Zivilisten verwickelt sind, Immunität vor Verhaftung oder gerichtlicher Verfolgung im Irak genießen.

Als ein Mann wie John Negroponte , der als Karrierediplomat in den 80er Jahren auf dem Höhepunkt der Aufstandsbekämpfung in Zentralamerika US-Botschafter in Honduras war, im Juni 2004 die Leitung der US-Botschaft in Bagdad übernahm, kam die "Salvador-Option" in Fahrt. Negroponte, der heutige "Director of Intelligence", eine Art US-Oberbehörde aller 15 Geheimdienste, gilt als erfahrener Spezialist für die Vorbereitung und Anleitung von außergerichtlichen Tötungen. Auch andere Veteranen "schmutziger Krieg" der USA wurden im Irak eingesetzt. Sie beaufsichtigten, die Operationen des irakischen Innenministeriums. So James Steele, der frühere Leiter der Operationen gegen den Aufstand in El Salvador, und Steve Casteels, der an den Anti-Guerilla- und Anti-Rauschgift-Operationen in Kolumbien, Peru und anderswo mitwirkte. Es gebe sicher eine Vielzahl von operierenden Gruppen, meint Sandy English, aber alles deute auf ein führende Rolle der Todesschwadronen hin, die von Unterstützern der pro-amerikanischen Regierung, besonders im Innenministerium, organisiert werden. Sie arbeiteten mit schiitisch-fundamentalistischen Milizen wie den Badr-Brigaden zusammen. (Sandy English, "Hundreds of Iraqi academics and professionals assassinated by death squads", 6 März 06 http://www.wsws.org/articles/2006/mar2006/acad-m06_prn.shtml) "Sie werden auch die Männer in Schwarz genannt," schreibt Mutahana Hareth Al-Dari, ein Sprecher der Irakischen Vereinigung Muslimischer Gelehrter in der ägytischen Wochenzeitung Al-Ahram Weekly Online. "Niemand wagt sie zu identifizieren, obgleich jeder weiß wer sie sind. Es sind Gruppen, die von einigen politischen Parteien zusammengestellt werden, die sich im Innenministerium eingerichtet haben." Auf die Spur des Täterkreises deutet auch der Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra am 22. Februar, der offensichtlich wie andere derartige Anschläge zu dem Zweck unternommen wurde, Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten zu schüren. Sogar der irakische Bauminister Jassem Mohammed Jaafar musste nach einer Untersuchung einräumen, dass dies "das Werk von Spezialisten war…Löcher wurden in die vier Hauptsäulen des Mausoleums gebohrt und mit Sprengstoff gefüllt. Dann wurden die Ladungen mit einander verbunden, sowie mit einer anderen die direkt unter der Kuppel platziert war. Die Drähte wurden dann mit einem Zünder verbunden, der aus der Entfernung gezündet wurde" (http://www.uruknet.info/?p=m20998 )

Was kann getan werden?

Ein internationales Netzwerk von Organisationen, Gruppen und Personen, das in Fortsetzung der Ergebnisse des Welttribunals über Irak weiter arbeitet, hat eine Kampagne zum Schutz der irakischen Intellektuellen lanciert. So wurde Anfang des Jahres eine Petition an den Sonderberichterstatter für Summarische Exekutionen beim Hohen Kommissar der UN für Menschenrechte in Genf gerichtet. Dieser hat das eindeutige Mandat, Fälle aufzugreifen und nachdrücklich von den irakischen und Besatzungsbehörden zu fordern, irakische Akademiker wie auch andere Zivilpersonen zu schützen. Die Petition wurde von Nobelpreisträger Harold Pinter, J. M. Coetzee, José Saramago, and Dario Fo, sowie von Noam Chomsky, Howard Zinn, Cornel West, and Tony Benn und bisher von über 8000 weiteren Personen unterzeichnet und kann weiterhin im Internet unter (http://www.petitiononline.com/Iraqacad/petition.html) unterzeichnet werden. Ein Mitglied der Grünen Fraktion des Europäischen Parlaments aus Großbritannien, Caroline Lucas, hat zur Unterstützung für eine Untersuchung der Morde aufgerufen. Im schwedischen Parlament gibt es eine Anfrage der sozialdemokratischen Abgeordneten Marian Osman Sherifay. Nun haben die Teilnehmer des Madrider Seminars nicht nur dazu aufgerufen, das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte zu drängen, seiner Verpflichtung nachzukommen, das Leben und die Menschenrechte irakischer Ärzte und Akademiker sowie aller irakischen Zivilisten zu schützen. Auch die UNESCO sollte aufgefordert werden, zur Verteidigung der Intellektuellen sowie der wissenschaftlichen Fachkräfte des Irak tätig zu werden. Man will am Aufbau einer internationalen Solidaritätskampagne arbeiten, um irakische Akademiker im Exil und im Irak mit ihren Kollegen an Universitäten weltweit in Verbindung zu bringen und zu unterstützen.