Die Tragödie zweier verlorener Generationen
Hans von Sponeck: Die Menschen in Irak brauchen ausländische Hilfe –
aber zuerst muss es einen Truppenabzug geben
Hans Christian Graf von Sponeck, (69), war als deutscher Diplomat 32
Jahre bei den Vereinten Nationen tätig, von 1998 bis 2000 als
UN-Koordinator in Irak. Mit ihm sprach Birgit Gärtner.
Neues Deutschland, 20.03.2008
http://www.neues-deutschland.de/artikel/125952.html
ND: Die Transnational Foundation, eine schwedische Organisation,
in der Sie mitarbeiten, hat einen Zehn-Punkte-Friedensplan für Irak
entwickelt. Was schlagen Sie konkret vor?
von Sponeck: Unser Vorschlag enthält politische, ökonomische und
gesellschaftliche Aspekte. Wir fordern den sofortigen Truppenabzug, die
völlige Souveränität Iraks, die Rückgabe der Ölrechte,
Wiedergutmachungszahlungen sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft.
Wir denken, dass das Problem Irak sich nicht allein in Irak lösen
lässt, deswegen fordern wir auch die Entmilitarisierung des gesamten
Mittleren Ostens sowie feste Regionalkonferenzen in der Region. Wir
verstehen unsere Vorschläge allerdings nicht als Friedensplan, sondern
als Gedanken, die wir in eine internationale Diskussion über
Perspektiven für den Mittleren Osten einbringen möchten.
Dreh- und Angelpunkt aller Friedenspläne, die zur Zeit diskutiert
werden – in Europa, den USA, aber auch im Nahen Osten – ist die
Forderung nach Truppenabzug. Der Gedanke, die Truppen gehen raus und
der Frieden kehrt ein, scheint mir indes nicht realistisch.
Deswegen geht unser Zehn-Punkte-Plan weit darüber hinaus. Die Iraker
haben sich über Jahrhunderte miteinander arrangiert. Sie haben sich
nicht unbedingt geliebt, aber sie haben sich arrangiert. Dieses
Arrangement ist von außen aufgebrochen worden, die Ethnisierung des
Landes ist im atemberaubenden Tempo durchgeführt worden und trägt ihre
Früchte, das wird sich nur durch Truppenabzug nicht ändern.
30 Jahre Diktatur, zwei Golfkriege, zwölf Jahre Sanktionen, eine
Invasion und fünf Jahre Okkupation fordern ihren Tribut. Die Menschen
haben jede materielle Grundlage und jegliches Vertrauen verloren,
sowohl den Besatzungsmächten als auch sich selbst gegenüber. Die ganze
Nation ist in ein Trauma gefallen. Das wieder aufzuarbeiten wird ein
langer Prozess.
Wie könnte ausländische Unterstützung aussehen?
Diese Aufgabe muss von Ärzten, Psychologen und anderen professionellen
Helfern geleistet werden. Es gibt sehr viele gut ausgebildete Iraker,
die im Ausland leben und zurückkehren würden. Auch die UNO darf sich
nicht aus der Verantwortung stehlen. Ganz wichtig ist, den Menschen
Perspektiven zu geben. Unserer Ansicht nach müssen dazu völlig neue
Wege gefunden werden, uns schwebt so etwas wie eine
Mensch-zu-Mensch-Kooperation vor. Eine Art internationale
Arbeitsbrigaden, etwa um das Schulwesen wieder aufzubauen.
Iraks Bildungssystem galt als fortschrittlich. Welche Spuren
haben Sanktionen und Krieg da hinterlassen?
Selbst unter Saddam Hussein gab es eine flächendeckende
Grundversorgung, der Zugang zum primären Bildungssystem wurde noch im
letzten Winkel Iraks garantiert. Dieses Bildungssystem ist durch die
Sanktionen total zusammengebrochen. Es durfte kein gedrucktes Material
importiert werden, nicht einmal Notenblätter. Im Rahmen des Programms
»Lebensmittel für Öl« wurde zwar die Grundversorgung der Bevölkerung
gewährleistet, aber für die Bildung blieb erbärmlich wenig übrig. Irak
hat sicherlich zwei Generationen verloren, die in einem totalen
Bildungsvakuum aufgewachsen sind.
Aber das betrifft doch genau die Generation, die im Falle eines
Truppenabzugs gefordert wäre, das Land wieder aufzubauen.
Was dieser Generation angetan wurde, ist eine große Tragödie. Wie sieht
heute ihr Alltag aus? Sie bekommen statt Bildung Hass vermittelt,
lernen, dass Widerstand mit allen Mitteln legitim ist. Wir können also
davon ausgehen, dass diese Generation es schwer haben wird, Vertrauen
in Demokratie und Toleranz zu entwickeln.
Wie lässt sich diese Situation verbessern?
Unserer Ansicht nach bedarf es eines Wahrheits- und
Stabilisierungsprozesses. Darunter verstehen wir die Aufarbeitung des
Konflikts im Dialog miteinander. Das gilt sowohl innerhalb Iraks als
auch international. Dazu ist es ganz wichtig, dass die Verantwortlichen
zur Rechenschaft gezogen werden, dass George W. Bush und Tony Blair
beispielsweise sich nicht ins Privatleben verabschieden dürfen. Es gibt
historisch zwar kein Beispiel dafür, dass Sieger, die gefehlt haben,
sich für ihre Verfehlungen vor internationalen Gerichten verantworten
mussten. Doch dieses Prinzip der Siegerjustiz muss abgeschafft werden,
der Irak-Krieg wäre eine gute Gelegenheit dafür.
Außerdem muss alles getan werden, um den Menschen in der gesamten
Region eine Perspektive in Frieden zu ermöglichen. Deshalb fordern wir
eine ständige Regionalkonferenz, in der alle beteiligten Parteien an
einem Tisch sitzen. Dazu gehören auch die Hamas, die Hisbollah und die
PKK.
Damit ist natürlich der Frieden noch nicht garantiert, das wird ein
langer, steiniger Weg. Aber in meiner 32-jährigen Tätigkeit bei der UNO
habe ich gelernt, wie erfolgreich Dialog im Gegensatz zu Monolog und
Isolation ist. Und jede lange Reise beginnt doch mit dem ersten Schritt.