Nicht nur Sache von Experten

Initiative für ein internationales Irak-Kriegs-Tribunal von unten

Joachim Guilliard, Friedensjournal 03/2004

Selten zuvor, wurde Völkerrecht so offen gebrochen, wie mit dem Überfall auf den Irak. "Die Entfesselung eines Angriffskrieges ist nicht nur ein internationales Verbrechen" urteilten einst die Richter des Nürnberger Tribunals, "es ist das schwerste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es in sich alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt und anhäuft." (1) In der Tat wurden im Krieg weitere schwere Kriegsverbrechen verübt, darunter massive Bombardierungen ziviler Ziele, Einsatz geächteter und besonders grausamer Waffen, wie Streubomben und uranhaltige Munition. Schließlich sind auch bei der Ausübung der Besatzungsherrschaft offensichtliche Verstöße gegen die Genfer Konvention zu verzeichnen, wie die mangelnde Bereitschaft, für ausreichende Versorgung und Sicherheit zu sorgen.

Die Invasion des Iraks war nur der Endpunkt eines langen Krieges, der durch die Belagerung und die Bombenangriffe aus der Luft, die Lebensgrundlagen von 22 Millionen Menschen bereits zuvor systematisch zerstört hatte. Das mörderische Sanktionsregime, das für den Tod von mehr als eineinhalb Millionen Menschen verantwortlich gemacht wird, wirft gemäß UN-Menschenrechtskommission sogar "Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention" auf.

Es gibt keine Institution, die in absehbarer Zeit diese schweren Verbrechen untersuchen würde. Die "ausgräbt, säubert und dokumentiert, was wirklich im Zusammenhang mit dem Irakkrieg geschehen ist", um so Norman Paech "wenigstens dem irakischen Volk später die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Geschichte von den Umhüllungen der Propaganda und Verfälschungen zu befreien". (2)

Nötig ist daher ein internationales Tribunal "von unten", um mittels sorgfältiger Recherchen, öffentlicher Anhörungen und Tribunalsitzungen eine gut aufgearbeitete Dokumentation über den Krieg und seine Vorgeschichte zu erhalten, Gegenöffentlichkeit gegen die Verharmlosung des Krieges und seiner Folgen zu schaffen, mögliche Kriegsverbrechen zu untersuchen und schließlich öffentlich Anklage gegen die Verantwortlichen zu erheben. Untersucht werden muss – mit den Methoden eines juristischen Prozesses – auch die gesamte Vorgeschichte der Aggression, inklusive UN-Embargo, sowie die aktuelle Situation im Irak unter Besatzung und die Politik der Besatzungsmächte. Schließlich muss auch die deutsche Verantwortung für die Fortdauer der Sanktionen und die deutsche Unterstützung des Krieges Gegenstand der Untersuchung sein. Das Tribunal soll dabei kein Ersatz für eine fehlende internationale Gerichtsbarkeit sein. Nicht die ohnehin nicht mögliche Sanktion, sondern die Wahrheit soll das Ziel sein.

Im Mai letzten Jahres waren in einem ersten Treffen in Berlin bereits Ideen für ein solches Tribunal zusammengetragen worden. In einem Workshop beim "Friedensratschlag" Anfang Dezember letzten Jahres in Kassel, verständigten sich die Teilnehmer nun über den Start einer deutschen Initiative hierzu. Nicht die rückblickende Geschichtsaufarbeitung steht für die meisten dabei im Vordergrund, sondern die kritische Einmischung in die aktuelle angloamerikanische Politik am Golf und die Verhinderung künftiger ähnlicher Kriege.

In einer Reihe von Ländern laufen schon länger konkrete Vorbereitungen zu Hearings und Tribunalsitzungen und es gab auf internationaler Ebene erste Koordinierungstreffen. Strittig war hier allerdings, ob bei der Durchführung des Tribunals, auch großes Gewicht auf ein ernsthaftes juristisches Verfahren, wie beim NATO-Tribunal über den Jugoslawienkrieg oder dem gerade abgeschlossenen Afghanistan-Tribunal in Japan gelegt werden soll. In Kassel wurde dies befürwortet, die Verständigung läuft daher im Moment mit den Initiativen der Länder, die ähnliche Ansprüche an ein Tribunal haben, im Moment vor allem Japan, Großbritannien und die USA. Ziel wird aber eine weltweite Tribunalbewegung unter einem einigenden Dach bleiben.

Diese Tribunalbewegung soll aber nicht überwiegend eine Sache von Experten sein. Alle Gruppen und Initiativen, die sich gegen den Krieg engagierten, werden ermuntert, sich auch hier mit eigenen Recherchen, Anhörungen, Informationsveranstaltungen usw. zu beteiligen. Das erste Treffen, auf dem die genauere inhaltliche Ausrichtung, konkrete Ziele und erste Schritte besprochen werden, ist bereits am 1. Februar 2004, weitere – zu denen alle Interessierte herzlich eingeladen sind – werden folgen.

Kontakt:
Heike Hänsel (Tel: 07071/52200, Culture-of-peace@t-online.de) und
Joachim Guilliard (Tel:0171/5813890, Joachim.Guilliard@t-online.de)


(1) Der Nürnberger Prozeß, Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 207
(2) Norman Paech "Warum brauchen wir ein Tribunal?" Friedensjournal November/2003