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Landesweite Umfrage
Im Gegensatz zu Bushs spontaner Zurückweisung sind die neuen
Todeszahlen aus dem Irak wissenschaftlich fundiert. Unter der Leitung
von Gilbert Burnham und Les Roberts hatten Wissenschaftler von der
Johns-Hopkins-Universität in Baltimore im US-Staat Maryland und der
Al-Mustansiriya-Universität in Bagdad für die jetzt veröffentlichte
Untersuchung 1849 Haushalte mit knapp 13.000 Menschen an 47 zufällig
ausgewählten Orten im besetzten Zweistromland besucht. Dort fragten sie
nach Geburten, Todesfällen und Abwanderung zwischen Januar 2002 und
Juni 2006. Ihr Ergebnis: Die Sterberate im Irak ist seit Beginn der
Besatzung von 55 auf 133 Tote pro 10.000 Einwohner gestiegen. Die
Ergebnisse der Befragung wurden auf Iraks Gesamtbevölkerung von rund 27
Millionen Menschen hochgerechnet. Demnach sind nach Schätzungen
zwischen 393.000 und 943.000 Iraker durch Kriegsfolgen gestorben. Als
wahrscheinlichster Wert wurde die Zahl von 654.965 Opfern berechnet.
Rund 600.000 Menschen kamen demnach direkt durch Gewaltanwendung ums
Leben, mehr als 50.000 zusätzlich durch Krankheiten, etwa infolge des
weiter verschlechterten Gesundheitssystems. Die Autoren der Studie
betonen, daß die Datenbasis »extreme Unsicherheiten« berge. Wegen der
gefährlichen Sicherheitslage im Land hätten nur wenige Teams vor Ort
kurze Befragungen durchführen können. Zudem könnten Todesfälle
verschwiegen worden sein.
Washingtons Spin-Doktoren machen sich daran, die Studie »The Human Cost
of War in Iraq« zu diskreditieren. In der US-Presse wurde bereits
moniert, zu wenige Iraker seien befragt worden. Das Team um Gilbert
Burnham und Les Roberts von der John-Hopkins-Universität verweist
dagegen darauf, daß der Studie gängige wissenschaftliche Kriterien
zugrunde gelegt wurden, die nicht zuletzt auch von US-Behörden zur
Ermittlung von Opferzahlen bei anderen Konflikten angewandt würden.
Kritiker monieren zudem das große Intervall von knapp 400.000 bis über
900.000, in dem die Zahl der Opfer mit einer Wahrscheinlichkeit von 95
Prozent liegt. Dies beweise die »völlige Ungenauigkeit der
Untersuchung. Doch was besagen die Zahlen tatsächlich? Einzig, daß die
Wahrscheinlichkeit, daß weniger als 400.000 Iraker getötet wurden, bei
unter 2,5 Prozent liegt! Sollten 400.000 Tote infolge von Bushs Krieg
und Besatzung aber keinen Aufschrei wert sein? In jedem Fall liegen
selbst die untersten Angaben weit von den Angaben des US-Präsidenten
entfernt. Der hatte Ende vergangenen Jahres behauptet, daß etwa 30.000
Zivilisten seit Beginn der Kampfhandlungen getötet wurden.
Tatsächliche Schwächen
Ohne Zweifel hat die Studie ihre Schwächen. So wird bei den Tätern nur
zwischen »Koalitionskräften« und Irakern unterschieden. Häufigste
Todesursache waren mit 53 Prozent Schußverletzungen, 18 Prozent wurden
durch Autobomben getötet, zwölf Prozent durch Luftangriffe. 31 Prozent
der 600.000 getöteten Menschen wurden direkt von US-geführten
Besatzungstruppen getötet. Dies erweckt den Eindruck, daß sich die
Iraker vor allem gegenseitig erschießen. Was fehlt, ist aber die
Angabe, wieviele der Toten von den irakischen Armee- und
Sicherheitskräften umgebracht wurden, die ja schließlich unter dem
Befehl der Besatzer agieren. Nach 2004, d.h. dem Zeitraum der ersten
Studie, wurden anstelle der US-Truppen mehr irakische Einheiten bei
Angriffen, Razzien und an den unzähligen Checkpoints im Land
eingesetzt. Zwangsläufig stieg dadurch die Zahl derer, die durch
irakische Hilfstruppen getötet wurden.
Für wirkliches Aufsehen sorgen wird in den kommenden Tagen allein die
Zahl 3.000. So viele US-Soldaten zahlten dann Bushs Krieg am Golf mit
ihrem Leben.
Der
Report zur Studie im renommierten britischen medizinischen Fachmagazin,
The Lancet v. 13.10.2006
Mortality
after the 2003 invasion of Iraq: a cross-sectional cluster sample survey
Die Studie selbst:
Gilbert Burnham, Shannon Doocy, Elizabeth Dzeng, Riyadh Lafta, Les
Roberts
The Human Cost of the
War in Iraq 2002-2006
sowie die Anhänge: Appendices