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Joachim Guilliard

US-amerikanische Verbrechen im Irak und die Komplizenschaft Deutschlands

Beitrag gehalten auf dem Hearing am 25.8.2004 in New York

 

Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und anderer Staaten des „Alten Europa“ unterstützten –  trotz Kritik am Krieg – die USA bei der Kriegsführung und legitimieren die Besatzungsherrschaft. Die deutsche Tribunalbewegung konzentriert sich daher auf die Komplizenschaft Deutschland bei den Verbrechen der USA und ihrer „Koalition der Willigen“.

Die Invasoren verstoßen durch ihre Besatzungspolitik gegen internationales Recht und tragen die Verantwortung für die verheerenden Verhältnisse. Diese sind eine logische Konsequenz der US-Pläne für den Irak und somit als bewusste Verbrechen anzuklagen. Wer die Besatzungspolitik unterstützt macht sich mitschuldig.

I.

Am 19. Juni 2004 fand in Berlin die deutsche Auftaktkonferenz für ein internationales Tribunal über den Angriffskrieg gegen den Irak statt. Sie überzeugte uns – Veranstalter wie Teilnehmer – dass die politisch und militärisch Verantwortlichen für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit und schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Denn, so die Abschlusserklärung der gut besuchten Veranstaltung, „wer nun einfach zur Tagesordnung übergeht, kapituliert vor den nächsten Kriegen“. Wir dürfen es nicht den Siegern überlassen, die Geschichte der nun 14-jährigen Aggression gegen den Irak zu schreiben.

 

Im ersten Teil der Konferenz präsentierten die als Sachverständige eingeladenen Völkerrechtler überzeugende Beweise, dass der Überfall auf den Irak ein klarer Verstoß gegen verbindliches internationales Recht darstellt. George W. Bush, Tony Blair und die anderen politischen und militärischen Verantwortlichen haben sich daher nach ihrer einhelligen Überzeugung des schwersten aller internationalen Verbrechen schuldig gemacht, der Entfesselung eines Angriffskrieges. In dem die deutsche Regierung diese Aggression u.a. dadurch unterstützte, dass sie dem US-Militär dafür Territorium und Luftraum zur Verfügung stellte, machte sie sich, so ein deutscher Rechtsexperte nach bundesdeutschem, wie internationalem Recht an diesem Verbrechen mitschuldig.

 

Wie in den Hearings in anderen Ländern, wurden auch in Berlin erste Beweise über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben: u.a. über die Freigabe der Anwendung bestimmter Foltermethoden durch Justiz- und Verteidigungsministerium der USA, die Plünderungen und Brandschatzungen, die von den US-Truppen nicht verhindert, oft sogar gefördert worden waren, den großflächigen Einsatz von Streubomben in einem Wohngebiet in Bagdad, die drastische und systematische Verschlechterung der Lage der Frauen seit Beginn der Besatzung, das völlig zusammengebrochene Gesundheitssystem, Beschuss von Zivilfahrzeugen und sogar Krankenwagen durch US-Truppen.

 

Wir planen noch weitere Hearings in Deutschland durchzuführen, die schließlich in ein Tribunal in Berlin münden sollen, das über die Mitschuld der dt. Regierung urteilt. Trotz dieser Konzentration auf die Verantwortlichen im eigenen Land, würde es dennoch dabei auch um die Gesamtheit, der den USA und ihren Verbündeten zur Last gelegten Verbrechen im Irak gehen und so einen Beitrag zum internationalen Tribunal leisten.

Um zu einem Urteil über die dt. Mitschuld zu gelangen, muss schließlich zunächst darüber geurteilt werden, ob es sich bei den Taten, die die deutsche Regierung unterstützt hat und auch weiter unterstützt, um Verbrechen handelt.

Wir sind bzgl. der Verurteilung der britischen und US-amerikanischen Regierungen bewusst etwas zurückhaltend. Deutschland ist nicht nur Verbündeter, sondern auch einer der stärksten Konkurrenten der USA, der – wie sich sehr deutlich in den Differenzen vor dem Irak-Krieg zeigte – auch eigene imperialistische Interessen im Mittleren Osten verfolgt. Durch die Konzentration auf die Mitschuld der deutschen Regierung stellen wir sicher, nicht dafür vereinnahmt werden zu können.

Wir sind dessen ungeachtet vom Recht der Völker überzeugt, Gericht über die Verantwortlichen des Krieges halten zu können. Bekanntlich haben die USA und GB selbst nach dem 2. WK in Deutschland die Grundlage für eine solche universelle Gerichtsbarkeit gelegt.

Mit den Nürnberger Militärtribunalen deren Charta von der UNO als Prinzipien des internationalen Rechts anerkannt wurden, wurde ja nicht nur Recht über die Führer des deutschen Faschismus gesprochen, sondern der Angriffskrieg generell geächtet. „Die Entfesselung eines Angriffskrieges ist nicht nur ein internationales Verbrechen“ urteilte das Tribunal, „es ist das schwerste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es in sich alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt und anhäuft.“[1]

 

Die Alliierten waren sich dabei über die Tragweite ihres Tun wohl nicht ganz im klaren, wie auch Jean-Paul Sartre in seinem Inaugural Statement zum Russel-Tribunal über die Vietnamkriegsverbrechen anmerkte:

„Ab 1939 brachte die Hitlersche Raserei die Welt in derartige Gefahr, dass die entsetzten Alliierten beschlossen, die Aggressionskriege und die Eroberung, die Misshandlung von Gefangenen und die Folterungen sowie die uns als ‚Völkermord' bekannten rassistischen Praktiken zu richten und zu verurteilen, nicht bemerkend, dass sie sich auf diese Weise selbst, für ihre eigenen Taten in den Kolonien verurteilten

Indem sie Nazi-Verbrechen als solche anerkannten und weil sie in einem viel universelleren Sinn den Weg zu einer echten Gerichtsbarkeit für die Anklage und Verurteilung von Kriegsverbrechen ebneten – wo immer sie begangen werden und wer auch immer die Übeltäter sein mögen – bleibt das Nürnberger Tribunal Manifestation eines Wandels von grundlegender Bedeutung: die Ersetzung des 'jus ad bellum' [Recht zur Anwendung von Gewalt] durch das 'jus contra bellum'.[Recht über die Verhütung von Krieg, Friedenssicherungsrecht]"

 

Weil also die Alliierten das Verbrecherische am Tun der Nazis erkannten und weil sie damit im universelleren Sinn den Weg zu einer echten Rechtsprechung eröffneten, welche die Benennung und Verurteilung von Kriegsverbrechen völlig unabhängig vom Ort und vom Täter ermöglicht, bleibt das Nürnberger Tribunal das Signal für einen Wandel von grundlegender Bedeutung, nämlich die Ersetzung des 'jus ad bellum' durch das 'jus contra bellum'."

Der Hauptankläger Robert L. Jackson, der im  Namen der Vereinigten Staaten sprach, stellte dies in seiner Eröffnungsansprache vor dem Nürnberger Tribunal selbst fest: „Obwohl diese Gesetze zum ersten Mal auf die deutschen Aggressoren angewendet werden, so können doch – wenn sie wirklich von Nutzen sein sollen – andere Anwendungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden; jede  Aggression muss verurteilt werden, gleichviel, welcher Staat sich ihrer schuldig gemacht hat, die Staaten, die hier die Verhandlungen führen, nicht  ausgeschlossen.“[2]

 

Auf der offiziellen Ebene können und werden dies die USA zu verhindern wissen. Daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit internationaler Tribunale von unten. Diese müssen so ernsthaft durchgeführt werden, wie offizielle. Die ermittelte Wahrheit kann nur in dem Maße universale Gültigkeit beanspruchen, wie sie sich auf Prinzipien, Recht und Gesetze stützt, die international allgemein anerkannt werden. Aus diesem Grund sind wir für die strenge Einhaltung juristischer Methoden eines Tribunals, d.h. ein förmliches Beweisverfahren, nach einem detaillierten Statut, mit einer juristisch fundierten Anklage und der Möglichkeit der Angeklagten zur Verteidigung.[3]

 

II.

Ein wichtiges Ziel unseres Engagements ist dabei auch, die fortgesetzte deutsche Unterstützung für die US-Politik am Golf zu stoppen, um dazu beizutragen, die US-Regierung weiter zu isolieren und durch kritische internationale Öffentlichkeit, den Handlungsspielraum der Besatzer einzuengen. Ich halte dies für sehr wichtig, da die internationale Unterstützung, die die USA mit Hilfe der europäischen Staaten immer wieder bekommen, die einzige Trumpfkarte ist, die ihnen im Kampf um die Herrschaft über den Irak verblieben ist.

 

Dies hat die letzte UN-Resolution sehr deutlich gezeigt. Nachdem die USA im Irak selbst, keine nennenswerte Unterstützung für ihre Pläne bekommen konnten, konnte ihnen allein die UNO noch aus der Patsche helfen und dem „Transformationsprojekt“ mit ihrem Stempel noch ein gewisses Maß an Legitimation verschaffen. [4]

Nach den völkerrechtlich gleichfalls mehr als fragwürdigen Resolutionen 1483 und 1511 war dies die dritte massive Hilfestellung Frankreichs, Deutschland, Russlands und der anderen Sicherheitsratsmitglieder für die Staaten, die den Irak völkerrechtswidrig überfielen. Sie billigen den Aggressoren damit – unter Missachtung der UN-Charta – weiterhin die Verfügungsgewalt über ihre Kriegsbeute zu und helfen ihnen, indem sie das Übergabetheater zum „Ende der Besatzung“ erklären, auch dabei, sich aus den Pflichten von Besatzungsmächten (z.B. bzgl. der Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen) davonzustehlen – ein Aspekt der leider kaum beachtet wird. [5]

 

Die neue Resolution 1546 erwähnte keines der bekannt gewordenen Verbrechen der Invasoren mit einem Wort, keine Verurteilung der bekannt gewordenen Fälle von Folter, kein Wort zu den Bomben auf Falluja. Auch die Regierungen aus Ländern wie Deutschland und Frankreich unterstützten somit die Bestrebungen, das Verbrecherische an Krieg und Besatzung vergessen zu lassen.

Trotz der eskalierenden Gewalt und den verheerenden Lebensbedingungen, versuchen sie die fortgesetzte Besatzung als alternativlosen Weg zur „Stabilisierung“ und „Demokratisierung“ des Iraks zu legitimieren und deren Unterstützung zu rechtfertigen.

 

Um dem entgegenzuwirken ist meiner Meinung nach, die Entlarvung der Besatzungspolitik für uns von entscheidender Bedeutung.

 

Deutschland spielte wie Frankreich von Anfang an ein doppeltes Spiel. Da der Krieg und die Besatzung des Iraks ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen beeinträchtigten, versuchten sie selbstverständlich den Krieg auf diplomatischem Wege zu verhindern. Gleichzeitig wollten sie das Bündnis mit den USA – in dessen Rahmen sie u.a. Krieg gegen Jugoslawien führten – auf keinen Fall in Frage stellen. Deutschland leistete daher trotz offizieller Ablehnung des Krieges, unmittelbar militärische Unterstützung bei der Vorbereitung und Führung des Krieges.

Deutschland, Frankreich und die anderen einstigen Kriegsgegner in Europa sehen es zwar nicht ungern, dass die USA und Großbritannien mit ihrer unilateralen Aggressionspolitik in Schwierigkeiten geraten sind, fürchten aber aus eigenem Interesse deren völliges Scheitern im Irak. Dies würde einen gewaltigen Rückschlag für den Einfluss aller westlichen Staaten in einer Region bedeuten, die auch für sie wirtschaftlich vital ist.

Aus der Haltung dieser mächtigen Staaten resultiert auch die explizite Hilfestellung der UNO für die US-Politik, darum verzichteten sie auch bei der letzten Resolution darauf die Notlage der US-Regierung auszunutzen und zu versuchen eigene Vorstellungen durchzusetzen.

 

III.

Auf dem Berliner Hearing begründeten die Experten überzeugend, dass sich auch die Verantwortlichen in Deutschland durch die Unterstützung eines offensichtlichen Aggressionskrieges nach nationalem und internationalem Recht strafbar gemacht haben. Das festgestellte Ausmaß der dt. Beteiligung und somit der Grad dieser Mitschuld ist beträchtlich. So gestattete die dt. Regierung der US-Armee, das deutsche Territorium uneingeschränkt zu nutzen und stellte knapp 3.000 Soldaten zur Verfügung, die anstelle der in den Krieg abkommandierten GIs die US-Basen in Deutschland bewachten.

 

Die Militärbasen in Deutschland waren für die Kriege der USA in Afrika und Asien schon immer zentral gewesen. Hätte die dt. Regierung pflichtgemäß ihre Nutzung sowie Überflugrechte für Militärmaschinen untersagt, hätte dies die US-Streitkräfte vor enorme Probleme gestellt und den Kriegsbeginn um viele Monate verzögert.

Ungefähr 70.000 US-Truppen sind in Deutschland stationiert. Über drei große Flughäfen, sowie See- und Binnenhäfen, wird ein großer Teil des Transports von Truppen und Ausrüstung ins Krieggebiet abgewickelt und der Nachschub organisiert.

 

Die Bundeswehr unterstützte zudem die US-Truppen auch direkt vor Ort: deutsche Offiziere taten in den Awacs-Flugzeugen Dienst, die den irakischen Luftraum erfassten, ABC-Einheiten waren in Kuwait stationiert und die dt. Marine gab vor dem Horn von Afrika Geleitschutz für US-Schiffe, die mit Kriegsmaterial beladen waren. Aktuell hilft die Bundeswehr zudem durch die Ausbildung von irakischen Hilfstruppen und der Lieferung gepanzerten Fahrzeuge.

IV

Kritisiert wird von den maßgeblichen Politikern und Medien in Europa im Wesentlichen nur die miserable Durchführung der Besatzung und das angebliche „Fehlen konkreter Pläne“ der Bush-Administration für die Nachkriegszeit, sowie mangelnde Mitsprache für die europäischen Staaten und die UNO.

 

Doch die irakische Misere ist nicht auf mangelnde Planung und ähnliches zurückzuführen. Wie ich in an anderer Stelle ausführlich ausgeführt habe,[6] ist sie die logische Konsequenz, der US-Strategie für den Irak. Diese sah zusammengefasst folgendes vor: (a) völlige Auflösung des alten Staates und Umwandlung in einen föderal gegliederten, entmilitarisierten Bundesstaat mit einer möglichst schwachen Zentralregierung, (b) dauerhafte Stationierung einer großen Streitmacht im Irak und damit im Zentrum der arabischen Welt, (c) Umwandlung der irakischen Wirtschaft in ein radikal neoliberales Modell einer freien Marktwirtschaft und schließlich (d) Etablierung einer pro-amerikanischen Regierung unter Vormundschaft der USA. Es geht bei den Nachkriegsplänen nicht nur um selektive Reformen im Irak, sondern praktisch um eine Neudefinition der Nation – ökonomisch, sozial und politisch. Der Irak sollte nach dem Willen der Bush-Administration zudem auch als Beispiel und vor allem als Hebel für ihr Projekt „Greater Middle East Initiative“ dienen, das sich die Transformation der arabischen und islamischen Staaten von Nordafrika bis zum kaspischen Meer in bürgerlich-demokratische, neoliberale Marktwirtschaften zum Ziel setzt.

Das unmittelbare Kriegsziel war der Sturz der irakischen Regierung gewesen. Dabei ging es aber nicht um eine bloße Übernahme der Macht. Im Stil einer klassischen Eroberung sollte die alte Staatsführung physisch ausgeschaltet und der bestehende Staat als solcher weitgehend aufgelöst werden. In diesem Zusammenhang müssen die Plünderungen und systematische Brandschatzungen nach dem Zusammenbruch des alten Regimes gesehen werden, die von den Invasoren nicht behindert, sondern vielen Berichten zufolge gezielt gefördert wurden. (Roger Normand berichtete darüber auf dem Hearing im Mai hier in New York)[7]

Diese systematischen Zerstörungen machten den Weg frei für die Neuordnung des Irak. Armee und Sicherheitskräfte wurden aufgelöst und die meisten Funktionäre aus den staatlichen Stellen entlassen. Da kein Ersatz bereit stand, war es völlig klar gewesen, dass mit der Auflösung der staatlichen Institutionen auch jegliche gesellschaftliche Ordnung zusammen brechen würde. Das wurde in Kauf genommen, wie der Ruin der irakischen Unternehmen durch die völlig Öffnung der Grenzen und eine riesige Arbeitslosigkeit von 60-70%.

 

Neben dem Mangel an Sicherheit im Alltag als Folge dieser Politik, leidet die irakische Bevölkerung vor allem an der kaputten Infrastruktur. Die Misere nach über ein Jahr Besatzung ist unmittelbar auf die wirtschaftliche Zielsetzung der USA zurückzuführen. Auch diese wurde von Deutschland, Frankreich etc. zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt, sondern im UN-Sicherheitsrat abgesegnet.

Die Pläne zur ökonomischen Umgestaltung des Iraks waren lange vor dem Krieg ausgearbeitet worden. In einem hundertseitigen Papier des US State Department (“Moving the Iraqi Economy from Recovery to Sustainable Growth”) wurden die einzelnen Maßnahmen, Gesetzesänderungen etc. detailliert beschrieben. Vieles davon wurde durch Dutzende von Erlasse der Besatzungsbehörde Gesetz.[8] Ein „kapitalistischer Traum“ schwärmte das britische Wirtschaftsblatt The Economist im September 2003 über die von der Besatzungsbehörde aufgebauten neuen Wirtschaftsstrukturen.[9] Nachdem drei Jahrzehnte lang die wichtigsten wirtschaftlichen Bereiche nationalisiert waren, wurde das Land nun in eine einzige große Freihandelszone verwandelt. [10]

Diese Besatzungspolitik verstößt allerdings eindeutig gegen internationales Recht, Besatzungsmächten verbindlich vorschreibt, die vorhandenen Gesetze und gesellschaftlichen Strukturen zu respektieren und die Wirtschaft treuhändlerisch zu verwalten, bis eine neue souveräne Regierung im Amt ist. [11] Das ist in Washington und London durchaus bekannt, wie entsprechende Warnungen des britischen Generalstaatsanwalts Lord Goldsmith belegen.[12]

 

Für den Wiederaufbau werden zwar Milliarden ausgegeben. Diese werden aber nicht auf eine Weise verwendet, dass damit rasch die dringlichsten Infrastrukturprobleme gelöst oder das Gesundheitswesen wieder in Stand gesetzt werden könnte. Die Prioritäten setzt hier die US-Wirtschaft. Es herrscht ein skrupelloses Bereicherungsstreben in der Bush-Administration und den Konzernen, die personell eng mit ihr verwoben sind.

In erster Linie handelte es sich bei den Milliarden um irakisches Geld aus dem Development Fund for Iraq, DFI, die vom Kongress bereitgestellten Gelder wurden bisher kaum in Anspruch genommen.

In den DFI der von den USA geschaffen und von der UN-Resolution 1483 abgesegnet worden war, flossen u.a. die Guthaben aus dem Oil-for-Food-Programm (8,1 Mrd. US-Dollar), das beschlagnahmte irakische Vermögen und die Einnahmen aus Ölverkäufen – bis Juni 2004 insgesamt mehr als 20 Milliarden US-Dollar.[13]

Diese riesigen Summen sollten gemäß UN-Resolution 1483 in „transparenter Weise“ zur „Deckung des humanitären Bedarfs“ der irakischen Bevölkerung und für die „Instandsetzung der Infrastruktur“ ausgegeben werden, kontrolliert durch ein „International Advisory and Monitoring Board“, IAMB), (bestehend aus Vertretern der UNO, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und dem Arabischen Fonds für Ökonomische und Soziale Entwicklung). Aufgrund der Hinhaltetaktik Paul Bremers konnte dieses Board aber erst im März 2004 einen ersten Blick in die Bücher werfen und erhielt auch dabei nur summarische Informationen.[14]

 

Da es praktisch keine Kontrolle gab, konnte die Besatzungsbehörde nach Gutdünken über den Fonds verfügen und mit seiner Hilfe auch die Restriktionen, die der US-Kongress mit den von ihm bewilligten Geldern verknüpfte, umgehen – der Fonds wurde zur gigantischen Schwarzgeldkasse des US-Statthalters. Obwohl der Kongress für die 18,7 Milliarden US-Dollar aus dem US-Haushalt eine Vergabe von größeren Aufträgen ohne Ausschreibung strikt untersagt hatte und die Verwendung der Gelder streng kontrolliert wurde, konnten so Bechtel, Halliburton und die anderen US-Konzerne, die eng mit der US-Administration verbunden sind, weiterhin direkt bedient werden.[15] Milliardenbeträge verschwanden so in ihren Taschen ohne sichtbaren Nutzen für die Iraker.

Der lasche Umgang mit dem irakischen Geld wurde Mitte Juli auch vom genannten Monitoring Board IAMB beanstandet, da die Besatzungsbehörde (Coalition Provisional Authority, CPA) keine genaue Rechenschaft über die bis dahin aus dem Entwicklungsfonds ausgegebenen 11,3 Milliarden US-Dollar ablegen konnte. Auch über die Fördermengen und Umsätze beim Erdöl fanden die Prüfer keine detaillierten Zahlen.[16] Die britische Hilfsorganisation „Christian Aid“ vermutet aufgrund eigener Recherchen, dass die Öl-Einnahmen um bis zu 30% höher liegen und somit weitere Milliarden in dunkle Kanäle geflossen sein könnten.[17]

 

All dies geschieht auf dem Rücken der notleidenden Bevölkerung und mit Duldung der europäischen Staaten. Dabei standen irakische Firmen von Anfang an bereit, für ein Bruchteil der den US-Unternehmen zugestandenen Auftragssummen die Schäden zu beheben, so wie sie es 1991 in wenigen Monaten geschafft hatten. Sie haben das Know How und das Interesse und sie hätten dadurch Hunderttausenden wieder zu Arbeit und Einkommen verholfen.

 

Mit Rückendeckung der anderen europäischen Mächte verstoßen die Besatzungsmächte fortgesetzt und massiv gegen internationales Recht, wie es u.a. in der Haager Landkriegsordnung, den Genfer Konventionen, den internationalen Pakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) und über zivile und politische Rechte (Zivilpakt) und der Charta der Vereinten Nationen verbindlich festgeschriebenen ist. Hierzu zählen:

 

Führten die Enthüllungen über Folter zu einem internationalen Skandal, der die Akzeptanz der Besatzungspolitik ernsthaft erschütterte, so steht eine ähnlich breite Aufklärung bei diesen Verbrechen noch aus. Das Center for Economic and Social Rigths (CESR) legte im Juni 2004 mit dem Bericht „Jenseits der Folter – Verstöße der USA gegen das Besatzungsrecht“ eine umfassende Zusammenfassung dazu vor. CESR zieht als wichtigsten Schluss aus seiner Untersuchung, dass die Besatzung selbst die Wurzel aller Gewalt und Rechtsverstöße ist und diese nur durch ein Ende der Besatzung gestoppt werden können.

 

Wichtig ist, deutlich zu machen, dass es sich hierbei nicht um „Fehler“, „mangelnde Planung“ oder einzelne „Verfehlungen“ und „Entgleisungen“ handelt, sondern um die Konsequenzen einer zielgerichteten Politik, d.h. um bewusste und systematische Verbrechen. Die Beurteilung der Besatzungspolitik kann daher keine Ermessenssache einzelner Regierungen mehr sein. Wer diese Politik unterstützt, macht sich mitschuldig.

 

Im Engagement gegen diese Kumpanei liegt eine der wesentlichsten Aufgabe der Antikriegsbewegung bei uns.



[1] Der Nürnberger Prozeß, Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 207

[2] Zitiert nach „Prevent the Crime of Silence - Reports from the sessions of the International War Crimes Tribunal founded by Bertrand Russell.“ http://www.911review.org/Wget/www.homeusers.prestel.co.uk/littleton/v1101sar.htm

[3] Norman Paech, „Warum brauchen wir ein Tribunal“ Friedensjournal, November/2003

[4] siehe J. Guilliard „’Souveränität' bei vorgehaltener Pistole“. AUSDRUCK IMI-Magazin, August 2004: http://www.imi-online.de/2004.php3?id=1012

[5] Bereits im Mai hatten sie die Ministerien für Gesundheit, Bildung, Wasserversorgung, Elektrizität, Öffentliche Arbeiten, Wissenschaft, Technologie und Kultur, in die „Unabhängigkeit“ entlassen, mit dem Ziel sie nun allein für die Misere ihrer Ressorts verantwortlich zu machen. Die Ressortleiter der „unabhängigen Ministerien“ blieben als Minister der Interimsregierung im Amt, siehe „Iraq's interim cabinet“, IslamOnline, http://www.islamonline.net/English/News/2004-06/01/article01a.shtml

[6] siehe Göbel/Guilliard/Schiffmann (Hg): „Der Irak – Krieg, Besetzung, Widerstand“, PapyRossa, Köln 2004 und
“Im Treibsand Iraks – Von „Auftrag erfüllt“ zur unerfüllbaren Mission”, http://imi-online.de/download/IMI-Studie-2004-03JGTreibsand.pdf

[7] Crimes Committed During the Ongoing Occupation, New York Session of World Tribunal on Iraq, 8.5.2004, http://www.worldtribunal-nyc.org/Document/

[8] Antonia Juhasz, „The Economic Colonization of Iraq: Illegal and Immoral,“ New York Session of World Tribunal on Iraq, 8.5.2004. http://www.worldtribunal-nyc.org/Document/

[9] „Let's All Go to the Yard Sale,“ Economist, 25.9.2003

[10] siehe die Berichte von Roger Normand und Antonia Juhasz auf dem New York Hearing im Mai  a.a.O.

[11] Siehe Artikel 42ff der Haager Landkriegsordnung von 1907, sowie: „Spoils of war“, The Guardian, 13.10.2003

[12] Ibrahim Warde, a.a.O..

[13] Eine grobe tabellarische Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben bietet die CPA unter http://www.cpa-iraq.org/budget/DFI_26jun2004.xls

[14] „Fuelling suspicion: the coalition and Iraq's oil billions“, Christian Aid, http://www.christian-aid.org.uk/news/media/pressrel/040627.htm

[15] Siehe Andrew Cockburn, „Raiding Iraq's Piggy Bank“, Salon.com, 17.5.2004

[16] Siehe Presseerklärung des IAMB vom 15.7.2004, http://www.iamb.info/pr/pr071504.htm, sowie „UN und USA streiten über den Umgang mit Iraks Erdöl“, FR, 24.7.2004,

[17] Schon die CPA selbst gibt mit 10,0 und 11,5 Mrd. US-Dollar zwei unterschiedliche Zahlen für die Öleinnahmen an. Nach Berechnungen von „Christian Aid“ müssten sie eher bei 13 Mrd. liegen („Fuelling suspicion …“ a.a.O.)